„Ich liebe meine Eltern, aber ich schäme mich für ihr Weltbild“ – Frage aus der Community
Heute ein Gastbeitrag von einem erwachsenen Kind, das sich besonders schwer mir dem Weltbild ihrer Eltern tut. Ihre Meinungen unterscheiden sich in vielen Punkten, und das sorgt nicht nur für Streit, sondern auch für viele unangenehme Gefühle…
Und wir sind gespannt, was eure Erfahrungen in dieser Sache sind. Die Tochter schreibt:
Ich liebe meine Eltern, aber beide sind auf ihre Weisen sehr konservativ.
Das Problem ist, dass sie nicht einmal dazu stehen, sondern von sich selbst aus glauben, dass ihr Lebensstil sehr fortschrittlich sei. Familientreffen enden für mich entweder in großen Diskussionen – oder Kopfschmerzen, weil ich, aus Angst vor Streit, gar nichts sage. Ich weiß nicht, ob ich mich verändert habe, oder sie. Aber wahrscheinlich war es ich. Und jetzt können wir nicht mehr miteinander reden, zumindest nicht, ohne zu streiten.
„Ich bin nicht homophob, aaaaber …“
Wenn meine Eltern wüssten, dass mein Bruder bisexuell ist, wäre die Hölle los. Sie beschweren sich zwar oft, warum er ihnen nichts von seinem Datingleben erzählt, wenn beim Abendessen ständig unbewusste homophobe Bemerkungen fallen.
„Jeder kann tun, was er will, aaaaber …“
Wenn meine Eltern wüssten, dass ich nichts gegen eine offene Beziehung hätte, würden sie mir den Vogel zeigen. Für sie gibt es nur die Monogamie, alles andere ist für sie Hippie-Quatsch oder irgendein Trend.
„Ich bin ja für den Klimaschutz, aaaaber …“
Wenn ich den Sonntagsbraten verweigere, für den sich meine Mutter große Mühe gegeben hat, bin ich undankbar und egoistisch. Sie glauben nicht an Veganismus, denn für sie gehören tierische Produkte zu einer ausgewogenen Ernährung. Ganz darauf zu verzichten, empfinden sie als extrem und radikal.
„Ich hab‘ nichts gegen Ausländer, aaaaber …“
„…Bitte keinen Afrikaner. Sie sind nett und alles, aber denk doch an deine Kinder. Sie werden solche Probleme mit ihren Haaren haben.“
Wenn ich ihnen daraufhin sage, dass ich diese Ansicht etwas rassistisch finde, dann ist die Kacke so richtig am Dampfen. Da mein Vater selbst einen Migrationshintergrund hat, ist er nämlich der Meinung, dass er gar nicht rassistisch sein kann. Und wenn ich ihm sage, dass das sehr wohl möglich ist, weil wir alle verinnerlichten Rassismus in uns tragen, dann bin ich Miss Neunmalklug, die jeden belehren möchte.
Ich verstehe ja auch, dass es als Elternteil komisch ist, wenn die Kinder in bestimmten Bereichen plötzlich mehr wissen, aber sofort zuzumachen, wenn meine Meinung eine andere ist, finde ich sehr schade.
Es gibt fast kein Thema mehr, bei dem meine Eltern und ich uns nicht aneinander reiben.
Das ist unglaublich anstrengend, weil wir ständig um Gespräche herumtänzeln. Und ich bekomme permanent das Gefühl, dass ich die „radikale“ Linke bin, die einer Gehirnwäsche unterzogen ist.
Meine Eltern stecken in einem alten Denken fest und wollen nicht weiterziehen.
Es ist mir unangenehm zuzugeben, aber manchmal schäme ich mich so sehr für ihre Kommentare, dass ich mich nicht traue, Freundinnen mit nach Hause zu bringen. Das tut mir leid, weil ich meine Eltern liebe, aber ich will nicht, dass andere wissen, wie diskriminierend sie sein können. Aber ich glaube, meine Eltern schämen sich auch für mich, besonders mein Vater.
Leider habe ich keine wirkliche Lösung gefunden. Beide Parteien glauben, im Recht zu sein und wollen dem anderen nicht entgegenkommen. Das Einzige, was man tun könnte, wäre zu reden, aber für ein Gespräch braucht es nicht nur einen Redner, sondern auch einen Zuhörer. Und wenn die Eltern nicht zuhören wollen, kann es auch kein Gespräch geben. Und deshalb reden wir nicht. Es ist traurig, und ich wünschte, es wäre anders, aber wann immer wir reden, streiten wir, und so wahren wir uns wenigstens ein bisschen Frieden.
Habt ihr vielleicht eine Lösung oder Erfahrungen zu diesem Thema?
Liebe Grüße,
die Tochter
- 26. Sep 2022
- 5 Kommentare
- 4
- andere Meinungen, Eltern, Elternkonflikte, Konflikte, Meinungen, unterschiedliche Meinungen
Estrellina
27. September 2022Ich fühle das so sehr. Ich befinde mich nun auch spätestens seit Corona in einer sehr ähnlichen Situation.
Meine Eltern rutschen immer tiefer in die Querdenkerszene und werden auch so immer verbohrter. Alle mir wichtigen Themen wie Umweltschutz bzw Klimawandel, meine Ansichten zum Krieg in der Ukraine oder zu Corona - alles das reinste Pulverfass. Und auch ohne dass ich überhaupt ein Thema davon ansprechen, scheint es für meine Eltern permanent zu passen ihre unsinnigen Kommentare dazu abzugeben, praktisch aus dem Nichts. Es gibt auch dazu keine normalen Gespräche, sondern immer direkt Angriffe und Streit und sie werden direkt laut.
Ich habe das Gefühl, dass wir über rein gar nichts mehr übereinstimmen und kann nichts dagegen tun
mindfulsun
27. September 2022Hallo, hier ist mindfulsun aus der Tollabea Redaktion. Ich habe den Artikel zwar nicht geschrieben, allerdings berühren mich deine Worte.
Und sie stehen stellvertretend für viele Beziehungen gerade. Ich möchte dich mal einladen, eine andere Perspektive einzunehmen. :)
Was ist ein Querdenker? Was ist eine Querdenkerszene? Ist das nicht eine Schublade, in die Menschen gesteckt werden, die andere Meinungen vertreten?
Was löst das in Menschen aus, wenn sie in Schubladen gesteckt werden? Viele werden defensiv. Meinst du das mit verbohrt? Sie beharren auf ihrer Meinung oder werden sogar laut? Kannst du vielleicht dahinter schauen? Was spielt sich gerade in deinen Eltern ab? Sie versuchen sich verständlich zu machen.
Welche Wirkung wirst du wohl auf sie haben? Könnt ihr einander wirklich noch zuhören, ohne nur Argumente auszutauschen? Das ist sowieso schon verdammt schwer, sich nicht von den eigenen Emotionen leiten zu lassen, wenn es Konflikte gibt. Durch die Pandemie hat sich das noch verschärft.
Ist es dir wichtig mit deinen Eltern bei den Themen übereinzustimmen? Oder ist dir die Verbindung zu ihnen wichtig und somit ein: Egal welche Meinung jemand zu etwas hat, ich mag den Menschen. Ich weiß woher es kommt, was er fühlt, was ihn bewegt. Du möchtest sicher auch von deinen Eltern gesehen werden, mit allem, was dir wichtig ist. Ist nicht verstehen wichtiger als überzeugen?
Ich hoffe, ihr findet wieder einen Weg aufeinander zuzugehen. Für mich führt dieser Weg nur über die Brücke: Andere Menschen nicht in Schubladen zu stecken. LG mindfulsun
Veronika
22. Januar 2023Ich glaube, wir werden diesen Konflikt erst verstehen, wenn wir in der Situation unserer Eltern sind. Wenn unsere erwachsenen Kinder das, wofür wir gekämpft und es uns erarbeitet haben, was wir als unser richtiges Weltbild betrachten, überarbeiten, bei definieren und ihre eigenen, für uns neuen Werte hineinlegen.
Jede Überschrift ist mit dem "..., aber" fett markiert. Ließt man die Texte, entdeckt man mindestens eben so oft "Ich.... meine Eltern, aber...". Der gesamte Konflikt scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen und es wirkt sehr stark so, als ob das Verständnis auf beiden Seiten fehle.
Wo ist die Bereitschaft, den anderen zu akzeptieren? Wäre es nicht möglich, zu akzeptieren, dass jemand Heterosexualität und Monagamie als den Normalzustand empfindet und alles andere als die Ausnahme? Natürlich sollte auch diese andere Seite alles jenseits der persönlichen Meinung ebenso respektieren und nicht verurteilen.
Ich vermisse in solchen Gesprächen sehr oft das neutrale Interesse aneinander und den Willen, den anderen eben nicht zu verurteilen, zu titulieren oder in eine Schublade zu stecken. Ich vermisse Toleranz in jede Richtung und die grundlegende Bereitschaft, den anderen einfach auf seinem Standpunkt sein lassen zu können.
Betrifft dieser Konflikt die Eltern Kind Beziehung, ist es natürlich besonders schwer. Und gleichzeitig so natürlich wie die Jahreszeiten. Selbst bei Sokrates findet man ihn schon, ich bin überzeugt, er MUSS einfach sein. Nur das Thema ist variabel.
Jessi
2. Oktober 2023Mir geht es ganz genauso. Ich liebe meine Eltern als Mama und Papa, sie unterstützen mich schon immer so gut sie können und sind immer für mich da. Als Menschen könnten wir jedoch was den Blick auf das Weltbild angeht, nicht unterschiedlicher sein. Ich empfinde mich als weltoffen und tolerant. Meine Eltern finden an allem etwas negatives, wenn jemand anders als der Durchschnitt ist. Sie lesen etwas in der Zeitung und regen sich sofort über Poliltiker auf, statt rational das Pro und das Contra abzuwägen. Natürlich darf man es schlecht finden, was die Politik so entscheidet, aber man muss nicht ständig gegen alles hetzen... es raubt mir die Energie.
Ich hasse es zum Beispiel, dass sie Trans Personen in ein schlechtes Licht stellen, nur weil die Medien zur Zeit, oder zum Beispiel auch Netflix Serien, das Thema LGBTQIA stark präsentieren. Sie verstehen nicht, dass man es einerseits schlecht finden kann, in welcher Menge das Thema dargestellt wird, aber man die Transpersonen als Menschen an sich nicht abwerten muss.
Und ich bin ehrlich: ich verachte sie dafür.
Für mich ist der Respekt gegenüber anderen Menschen das höchste Gut. Als Sozialpädagogin gelingt es mir gut, mich in die Sichtweise anderer Menschen reinzuversetzen. Das geht aber alles konträr zu meinen Eltern. Und es hat sich eine riesige Schlucht für mich gebildet... einerseits bin ich Mama und Papa so nah - andererseits würde ich zu solchen Menschen sofort den Kontakt abbrechen. Aber ich bin ja auch froh, dass die beiden sich so für mich interessieren.
Aber sie triggern mich so. Denn fast jedes Gespräch ist inzwischen davon geprägt, dass sie wieder über etwas hetzen müssen, und ihre Meinung ungefragt darstellen...Corona, Politik, Klimawandelleugnung, die Flüchtlnge, armes Deutschland, bla bla bla... Jeder darf seine Meinung haben. Aber ich habe keinen Respekt davor, wenn jemand nur auf der emotionalen Ebene hetzt und nicht sachlich, rational alle Seiten betrachten kann.
Ich habe das Gefühl, ich hätte meine Eltern "verloren"...weil wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt haben.
mindfulsun
3. Oktober 2023Hallo Jessi, hier ist mindfulsun (Denise) aus der Redaktion. Dein Kommentar ist für mich stellvertretend für das, was gerade in unserer Gesellschaft oft passiert und ich bin traurig, wenn ich sowas lese. Gleichzeitig habe ich Hoffnung, dass sich Menschen wieder annähern können und zwar mit Empathie. Empathie kann ich allerdings nur für jemanden haben, den ich nicht verachte. Also der erste Schritt wäre: Empathie für mich selbst. Und dann Empathie für die Eltern. Dir ist Respekt wichtig, schreibst du. Kannst du respektieren, was bei deinen Eltern ausgelöst wurde? Vielleicht ist es Angst? Was versuchen sie für sich zu schützen? Jenseits von richtig und falsch aufeinander zugehen und wirklich zuzuhören. Du schreibst: Hetze. Das ist deine Bewertung. Hinter all dem, was deine Eltern sagen (was du als Hetze bezeichnest) stecken unerfüllte Bedürfnisse. Du schreibst selbst, du bezeichnest dich als tolerant. Vielleicht kannst du das hier auch einsetzen? Und ja, Toleranz ist schwieriger, wenn die Meinungen auseinander gehen. Weil in unseren Köpfen "richtig und falsch" verankert ist.
Dein letzter Satz: "Ich habe das Gefühl, ich habe meine Eltern verloren..." ist es nicht genau das Bedürfnis bei dir? Die Verbindung zu deinen Eltern, die dir wichtig ist? Die kannst du haben, wenn du zuhören kannst, ihr euch annähert und das mit Mitgefühl. Wenn du ihnen auf menschlicher Ebene begegnen kannst und hinter ihre Worte schauen. Du schriebst: Es triggert dich. In dir wird etwas ausgelöst. Das ist auch wichtig. Vielleicht hast du jemanden, mit dem du darüber sprechen kannst, der deine Eltern nicht verurteilt. Sondern einfach dir die Empathie geben kann und zuhören. Damit du dann mehr Energie hast, deine Eltern zu hören: Hinter ihre Worte zu schauen.
Aus einer friedlichen und einer in dir ruhenden Position heraus, ohne die Sicht deiner Eltern zu verurteilen. Mit Respekt auch für ihre Bedürfnisse (Bedürfnisse, nicht Taten und Handlungen) könnt ihr vielleicht wieder aufeinander zugehen. Das bedeutet nicht!, dass du mit ihren Ansichten und Meinungen einverstanden bist. Das bedeutet, dass du die Menschen hinter den Meinungen und Ansichten siehst.
Fazit: Die Verbindung zu deinen Eltern scheint dir wichtig. Du kannst einen Weg finden und der fängt bei dir an. :)
Ich versuche diese Brücken auch zu bauen, mal gelingt es mir leichter und mal schwerer. Und ich habe bei mir gemerkt, mit Menschen, die ich am liebsten habe, ist es noch schwerer. Warum? Weil die Emotionen hier stärker sind.
Meine Frage an dich zur Selbstreflexion: Geht es dir um Respekt für andere (der nicht einforderbar ist) oder um "richtig und falsch" und dass dieses "richtig und falsch", die Verbindung zu deinen Eltern für dich schwerer macht? Und du Angst hast, diese Verbindung zu verlieren?