Wut ist mein Yoga – Gastbeitrag von Marlene Hellene
Wann wart ihr das letzte Mal wirklich wütend? Anlässe für Eltern gibt’s ja genug… Unsere geliebte Autorin Marlene Hellene, von der wir euch das Buch „Man bekommt ja so viel zurück: Leitfaden für verwirrte Mütter„* wärmstens ans Herz legen, hat mal wieder im Affekt geschrieben: Wie immer wunderbar, lest mal, ob ihr euch dahinter wieder erkennt!
Wut ist mein Yoga
Kennen Sie den Film „Falling Down“? Michael Douglas spielt William Foster und er ist wütend. Sehr wütend. In einem Fast-Food-Restaurant möchte er ein Frühstück bestellen. Da die Frühstückszeit aber seit wenigen Minuten vorbei ist und nun ausnahmslos die Mittagskarte gilt, zwingt er den Filialleiter mit einer Maschinenpistole dazu, ihn zu bedienen.
Als man ihn an einer seiner Meinung nach unnötigen Straßenbaustelle nicht durchlassen will, jagt Foster die Baustelle kurzerhand mit einer M72-Panzerabwehrwaffe in die Luft. Und so geht der ganze Film weiter. Wütend. Sehr wütend.
Natürlich ist Gewalt bäh und Waffen doppel bäh und Wehtun super duper bäh. Nicht zu tolerieren bäh.
Aber Wut, Wut kenne ich. Und ich habe keine Lust mehr, sie zu verstecken.
Ja, ich bin wütend. Ich bin wütend auf meinen Mann, auf die Kinder, auf Kollegen, auf Freunde, auf Fremde, auf das Wetter, auf mein Auto, auf einen abgebrochenen Bleistift und oft auch auf mich selbst. Aber ich erlaube mir diese Wut nicht. Weil ich als Mutter und Ehefrau und Kollegin immer freundlich zu sein habe. Nachsichtig und lächelnd werde ich erwartet. Weil sich das so gehört. Weil ich sonst eine Zicke bin oder hysterisch oder vielleicht sogar völlig durchgeknallt. Und genau das macht mich schon wieder wütend.
Unseren Kindern gestehen wir Wut zu.
Wissenschaftliche Abhandlungen erklären, wie wichtig Wut für ihre Entwicklung ist, wie wir ihnen beistehen müssen, sie durch die Wut begleiten. Der Grund für ihre Wut spielt dabei gar keine Rolle. Kinder sind wütend, weil sie nicht nur mit Badehose bekleidet einen Schneemann bauen dürfen. Diese Wut müssen wir ernst nehmen, wird uns Müttern beigebracht. Wir müssen Ge-duld haben und dem kleinen Wutigel mit Liebe und Verständnis begegnen. Auch, und besonders, wenn das der drölfzigste Anfall dieser Art innerhalb von drei Stunden ist.
Auch dem Partner, den Kollegen und Freunden erlauben wir, wütend zu sein.
Wir hören ihnen zu, zeigen uns empathisch und heitern sie auf. Aber was ist eigentlich mit der eigenen Wut? Tja, die schlucke ich runter. Auch, wenn sie bitter schmeckt und mich innerlich auffrisst. Warum? Weil ich souverän wirken will und freundlich. Professionell und erwachsen. Nett und süß. Weil ich niemanden erschrecken möchte oder gegen mich aufbringen. Weil ich ein verdammter Harmoniesucht-Trottel bin.
Aber damit muss jetzt Schluss sein. Ich lasse mich nicht weiter vergiften. Erst Recht nicht von meinen eigenen Gefühlen. Was raus muss, muss raus!
Wer mich wütend nicht mag, hat mich gut gelaunt nicht verdient, oder? Auch Kinder können lernen, dass Mama mal wütend ist. Weil Mama nämlich kein Roboter ist. Nein, auch keine Putzmaschine, Kochfee und Taxikutscherin. Mama hat die Schnauze voll! Und nicht nur Mama. Auch die Ehefrau, die ich bin wird ab jetzt mal laut und verlangt nach Wertschätzung und Unterstützung. Und wenn die Kollegen doof sind, werde ich eben auch mal doof. Seelenhygiene ist das Stichwort. Ab und an eine Portion Wut raus-lassen ist ab jetzt mein Wellness. Yoga, Wandern und Meditation können mir gestoh-len bleiben.
Ich lass meinen eigenen Wutigel steppen.
Das entspannt ungemein. Es muss ja nicht gleich so ausarten, wie in „Falling down“. Also echt nicht. Lassen Sie das Maschinengewehr bitte im Schrank. Aber wütend sein ist ok und macht Sie nicht zu einem schlechteren Menschen. Erlauben Sie sich Ihre Wut!
Ach übrigens, so ein richtig schöner Wutanfall verbraucht mindestens 500 Kalorien (wissenschaftlich nicht bestätigt), die mit Kuchen wieder aufgefüllt werden müssen und wenn DAS kein Argument ist, dann weis ich auch nicht.
So,
Marlene Hellene
P.S. Von Béa: Mein Yoga ist Kochen und das Lesen von echt witzigen Büchern, wie zum Beispiel
„Man bekommt ja so viel zurück: Leitfaden für verwirrte Mütter„
von Marlene Hellene!
*affiliate Link, also Mini-Werbung.
Und überhaupt möchte ich sie jetzt zitieren:
Alles, was ich über Wut, Hass und Verzweiflung weiß habe ich durch das nächtliche Suchen des verlorenen Schnullers gelernt.
— Lilli Marlene (@MarleneHellene) June 26, 2015
Obendrauf bin ich sicher, dass aus diesem Text ein Kapitel in ihrem neuen Buch gefüttert wird.
Und wie geht’s euch, wenn ihr wütend seid? Werdet ihr überhaupt wütend?
- 06. Dec 2018
- 5 Kommentare
- 3
- Aggression, Deeskalieren, Heulanfälle, Marlene Hellene, Wut, Wutanfall, Wutigel
Laura
7. Dezember 2018Liebe Marlene, wie recht du hast! Da predigen wir uns gegenseitig den ganzen Tag, dass wir unsere Wutigel achtsam wütend sein lassen und sind dann aber gnadenlos gegen uns selbst. Ich danke dir für deinen wunderbar lustigen und wahren Text. Ich gehe jetzt mal ne Runde Klopapier werfen. Liebe Grüße von deiner dich verehrenden Laura
Silke
7. Dezember 2018Du sprichst mir aus der Seele! Danke für diesen längst fälligen Artikel. Kinder brauchen authentische Eltern - und ich ein Ventil für meinen Ärger. Zum Beispiel darüber, dass Frauen mit einer Meinung und der Dreistigkeit, diese auch noch zu äußern, der Wind oft eiskalt ins Gesicht bläst.