Alles Lüge oder Liebe? (Demenz – Update Herbst 2019)


Wir sind dement! Also, nicht ich oder mein Mann, aber meine Schwiegermutter. Darüber habe ich schon öfter diverse Texte geschrieben – mit Kindern darüber sprechen, Symptome, wichtige Dokumente etc. sucht einfach im Blog nach „Demenz“.

Ich liebe diese alte Frau, Mutter meines Mannes, meine Schwiegermutter, Oma unserer Kinder, deren einzige Freude momentan in unseren Besuchen, dem Beobachten der Goldfische im Garden des Pflegeheims und dem Schoki-Stückchen besteht. Dem Pflegepersonal gegenüber traut sie nicht, vermutet, dass sie ihre Sachen durchwühlen. Dass sie ihr Gutes tun, weil sie aus ihrem Schrank morgens saubere Kleidung holen oder Gewaschenes einräumen, erkennt sie nicht mehr.

Sie ist stark verwirrt, desorientiert in Zeit und Raum.

Sie erkennt uns und nahestehende Personen. Aber sie kann uns nicht zeitlich einordnen.

Sie fragt nach ihrer Mutter.

Sie fragt nach ihrem Vater.

Sie ist fest davon überzeugt, zurück in ihre alte Heimat ziehen zu müssen, um ihrem Bruder nahe zu sein.

Wir sprechen viel mit den Kindern über die Besuche. Wir lachen viel, aber sie nicht aus. Wir versuchen, ihr heitere Momente zu bescheren.

Niemals versuchen wir, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Wir sind aber ehrlich zu ihr und sagen ihr, dass ihre Mutter, ihr Vater und auch ihr Bruder vor Jahren gestorben sind.

Bei jedem Besuch kommen die gleichen Fragen und immer versteinert ihr Gesicht für einen kleinen Moment bei der Antwort über den Tod ihrer Lieben.

Eine Thema, welches sie seit längerer Zeit ruhelos wirken lässt, ist das Thema Geld.

Sie hat zur Zeit keinen Euro bei sich und fühlt sich – verständlicherweise – mittellos.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie Geld. Sie verdiente es hart. Sie lebte sehr sparsam. Sie gönnte sich aber auch Dinge.

Ihr fragt euch jetzt sicher, warum sie keinen Euro bei sich hat. Ganz einfach: weil sie es verstecken würde und nicht mehr finden würde. Das ist leider die Realität bei dementen Menschen. Durch viele Gespräche – auch in der Senioren-WG, in der sie kurze Zeit gelebt hat, riet man uns, ihr kein Geld zu geben.

Friseurbesuche überweisen wir. Hygieneartikel und Kleidung kaufen wir.

Ja, es gibt einen kleinen Kiosk im Heim, aber sie ist so unmobil, dass sie nicht mit dem Fahrstuhl runter fahren würde. Und mit der geliebten Schoki versorgen wir sie. Sie brauch also kein Geld bei sich.

Weil die Fragen bei jedem Besuch aufkamen und sie völliges Unverständnis, gepaart mit großer Traurigkeit zu unserer Verweigerung zeigte, mussten wir uns etwas überlegen.

Echtes Geld sollte es nicht sein, warum nicht echt aussehendes Spielgeld?

Gesagt, getan! Bestellt wurde gleich am Abend des letzten Besuches, das Portemonnaie und eine Tasche von ihr hatten wir noch.

Ihre Augen leuchteten, als sie „ihr“ Geld in den Händen hielt. Jetzt ist sie glücklich.

 

Und wir fragen uns: sind kleine Notlügen in besonderen Situationen akzeptabel?

 

Unsere Antwort: Ja in Maßen, wenn es allen Beteiligten damit besser geht!

 

Ich habe dazu ein kurzes IGTV (Instagram-Video) gedreht – wenn ihr mögt, hüpft doch auf Instagram @yvonne_tollabea und hört einfach zu.

 

Alles Liebe, Eure Yvonne

Yvonne Petzke
About me

Berliner Mom of 3 * zert. PersonalTrainer * Laufcoach * Beckenbodenkursleiter (M/W) * * noch mehr Sport-/ BewegungsThemen und Persönliches über mich und mein Leben auch als UltraLäuferin findet ihr auf Instagram unter @yvonnepetzke

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4 Kommentare

Rebekka Szymanowski
Antworten 19. Dezember 2019

Liebe Yvonne,

ich arbeite seit fast 10 Jahren in der auf einem beschützenden Bereich für Demenzkranke. Das, was du als Notlüge bezeichnest, ist in diesem Fall "Validation". So heißt der Fachbegriff dafür, sich total auf die "Realität" einzustellen, in der sich deine Schwiegermutter gerade befindet. Sie fühlt sich hilflos, mittellos ohne Geld. Also habt ihr ihr Spielgeld besorgt. Eine geniale Idee. So, wie ihr sie behandelt, ist es absolut richtig. Ab einer bestimmten Phase der Demenz ist es ehrer kontraproduktiv, sie immer wieder auf die Realität hinzuweisen. Das macht die Betroffenen eher aggressiv oder unruhig. Macht weiter so. Liebt sie, gebt ihr Zuwendung in der Form, wie sie sie braucht. Damit seid ihr auf einem guten Weg.
Alles Gute für euch!

Rebekka

Anne
Antworten 27. März 2021

Hallo!
Mein Vater hat ebenfalls Demenz und er hatte sein Leben lang immer seine Geldbörse dabei. Da legt er auch jetzt noch großen Wert drauf. Mich würde interessieren, was für ein "Spielgeld" sie gekauft haben?! Ich suche im Moment nämlich auch welches, was relativ nah am echten Geld orientiert ist.

Ellen Sch.
Antworten 31. März 2022

Hallo, ich hätte diese Infomation auch sehr gerne!
Meine Mutter hat ebenfalls Demenz und sie legt auch jetzt noch großen Wert auf ihr Geld.
Ich suche im Moment nämlich auch Spielgeld, was relativ nah am echten Geld orientiert ist und habe da schon zweimal welches zurück schicken müssen.

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