Binge Eating bei Kindern und Jugendlichen – Was Eltern tun können


Binge Eating ist eine häufige Form der Essstörung. Oft wird sie viel zu spät erkannt und behandelt. In diesem Beitrag möchte ich euch ein bisschen über die Diagnose aufklären und euch zeigen, was Eltern dabei tun können.

Was ist Binge Eating?

Obwohl Binge Eating eine der drei häufigsten Essstörungen ist (nach Magersucht und Bulimie) kennen viele nicht einmal den Begriff. Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie sehr man etwas behandeln oder seine Hilfe anbieten kann, wenn man gar nicht im Bilde ist: nämlich gar nicht!

Deshalb hier eine kleine Definition: Bei Binge Eating (auch Essanfallstörung genannt) haben Menschen ziemlich starke Heißhungerattacken, die zu großen Essanfällen führen. Diese Portionen sind nicht mal eben nur eine ganze Packung Schoki oder Chips, sondern viel mehr als übliche Portionen. Das natürliche Sättigungsgefühl wird weit überschritten, oft hören Menschen selbst bei starken Bauchschmerzen nicht auf. Und das Schlimmste ist, dass sie nicht aufhören können. Sie verlieren die Kontrolle darüber und essen selbst, wenn sie überhaupt nicht mehr wollen. Ihr könnt euch das wie eine Drogensucht vorstellen, in dem ihr euch einerseits betäubt, andererseits im Rausch verliert.

Nach dem Essanfall werden keine Gegenmaßnahmen ergriffen (anders als es bei der Bulimie ist). Stattdessen verlieren sich die Menschen in Selbstvorwürfen, Scham und manchmal auch Selbsthass. Sie versprechen sich selbst, nie wieder die Kontrolle zu verlieren, doch schon bald passiert es erneut. Binge Eating ist keine „Einzeltat“, sondern sehr häufig. Meistens sogar jeden Tag. In meinem eigenen Blog Mias Anker beschreibe ich in dem Post Was ist Binge Eating?  das Phänomen noch ein wenig ausführlicher.

Eigentlich geht es nicht ums Essen.

Der Grund, warum Menschen Binge Eating Anfälle bekommen, ist eigentlich nicht das Essen, sondern etwas Tieferes, Psychisches. Ich habe euch ja bereits gesagt, dass es viele Ähnlichkeiten mit einer Drogensucht hat, denn auch Essstörungen sind Suchterkrankungen. Dort ist man eben süchtig nach Essen, aber wie bei jeder Droge, ob nun Gras, Alkohol oder Essen – geht es eigentlich nicht um das, was konsumiert wird. Drogensüchte sind psychische Krankheiten. Die Seele ist krank und versucht sich mit „Drogen“ halbwegs am Laufen zu halten. Das ist natürlich nie der richtige Weg, aber das ist der kranken Person oft „egal“.

Die Ursachen für Binge Eating können sehr vielfältig ausfallen. Hier sind die häufigsten:

Niedriger Selbstwert (zum Beispiel durch kindliches Übergewicht und der Erfahrung von Abwertung)

Depressionen

Traumatische Erlebnisse wie Mobbing, Missbrauch

In meinem Fall war einer der häufigsten Auslöser, dass ich als konfliktscheuer Mensch nie über meine Probleme reden konnte. Ich habe immer geschwiegen und mir meinen Kummer irgendwann buchstäblich in mich reingefressen.

Es können aber auch vermeintlich banale Auslöser wie die Trennung der Eltern oder Liebeskummer sind, die das ganze Leben umkrempeln, und wonach die Psyche nach einem Ventil verlangt.

Essstörungen sind oft nicht sichtbar.

Die meisten Menschen halten ihre Essstörungen geheim. Sie schämen sich und wollen nicht verurteilt werden, nicht zuletzt, weil die meisten Menschen viel zu wenig darüber bescheid wissen und bei Betroffenen schnell in Fettnäpfchen treten können. Viele Eltern kriegen erst dann etwas mit, wenn beim Kind eine Magersucht festgestellt wird, und es immer dünner wird. An dieser Stelle möchte ich aber auch sagen, dass es auch viele gibt, die bei einer Magersucht nicht schnell abnehmen – das Gewicht muss also kein Indiz für eine Essstörung sein.

Bei Binge Eating ist das anders. Dort ist es so, dass sich die Körperform entweder überhaupt nicht verändert oder sehr viel Übergewicht bekommt. Vielen Eltern ist an dieser Stelle nicht klar, ob das Kind sich einfach nur in einer pubertären Phase befindet und sich mit der Zeit alles wieder einrenken wird, oder ob es sich in letzter Zeit einfach zu ungesund ernährt.

In meiner Familie war es einmal so, dass eine Verwandte ganz klar Binge Eating gestört war, aber die meisten Verwandten sie zum Abnehmen animieren wollten. Sie erkannten eine Gefahr, allerdings nicht in der Psyche, sondern im Körper. Und auch hier muss ich kurz dazwischen grätschen, dass ein dicker Körper nicht zwangsläufig ein ungesunder sein muss!

Ich wusste nach kurzer Beobachtung, dass meine Verwandte nicht so viel aß, weil sie sich in einer verspäteten Pubertät befand, sondern, weil sie ganz klar starke Depressionen hatte, die sie vor niemandem, nicht einmal vor sich selbst zugab. Der Druck ihrer Mitmenschen, dass sie schleunigst abnehmen müsse, sorgte nur dafür, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam, sich in aussichtslose Diäten begab und immer wieder starke Rückfälle hatte. Eine Essstörung lässt sich nämlich nicht mit einer Diät behandeln. Es braucht viel Selbstreflexion, Unterstützung, ich empfehle auch immer eine Therapie.

Was können Eltern tun?

Da Menschen mit Essstörungen ihre Krankheit super verheimlichen können, merken Eltern es oft viel zu spät. Selten wissen die Eltern es früher als das Kind selbst – außer wie gesagt bei Magersucht, in der optische Anzeichen zu finden sind. Dennoch gibt es einiges, woraufhin Eltern im Vorfeld achten können.

Beobachtet eure Kinder.

Beobachtet ihr allgemeines Verhalten und beobachtet ihr psychisches Verhalten. Essen sie immer weniger? Reden sie viel über Essen, ohne selbst etwas zu essen? Sagen sie, dass sie schon draußen gegessen hätten? Machen sie ständig Diäten? – Das sind typische Anzeichen für Magersucht.

Essen sie immer mehr allein in ihrem Zimmer? Horten sie Essen in ihrem Zimmer? Essen sie oft Abends, wenn ihr es gar nicht merkt? Nehmen sie immer mehr zu, obwohl ihr den Eindruck habt, dass sie vor euch ganz übliche Portionen essen? – Das sind typische Anzeichen für Binge Eating und Bulimie.

Verschwinden sie nach dem Essen oft aufs Klo? Machen sie nach dem Essen exzessiven Sport? Essen sie manchmal einen ganzen Tag lang gar nichts? Greifen sie immer mehr zu Abführmitteln zu? – Das sind typische Anzeichen von Bulimie.

Wenn ihr glaubt, mit eurer Beobachtung richtig zu liegen, sprecht sie nicht sofort darauf an.
Bietet eurem Kind vielmehr an, immer ein offenes Ohr für ihn oder sie zu haben.

„Ich finde es wichtig, dass du weißt, dass du mit mir immer über alles reden kannst.“

„Und ist wichtig, dass du spürst, dass wir dich nie verurteilen würden.“

„Du weißt, dass wir dich immer lieben und unterstützen.“

Je aufgehobener sich das Kind fühlt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich öffnen wird. Wenn es sich dann öffnet, versucht stark zu bleiben. Nehmt es in den Arm, bedankt euch für die Offenheit und versichert, dass ihr ihn oder sie unterstützen werdet!

Stellt euch darauf ein, dass ihr wahrscheinlich trotzdem viel falsch machen werdet.

In meinem Post Wenn Eltern es nur gut meinen und trotzdem alles „falsch“ machen schreibe ich über meine Erfahrung, als meine Eltern mir immer nur helfen wollten, aber es gar nicht richtig machen konnten, weil ich alles, was sie taten, automatisch falsch fand. Das lag aber nicht an ihnen, sondern an meiner Essstörung. Es hat ihnen nicht gepasst, dass da plötzlich Menschen waren, die sie mir austreiben wollten. Stellt euch also darauf ein, dass ihr euch gelegentlich vollends machtlos fühlen werdet. Glaubt mir, eurer Kind wird es euch im Nachhinein danken.

Ihr seht also, dass Eltern leider gar nicht so viel tun können. Aus einer Essstörung muss das Kind schließlich selbst herauskommen. Aber manchmal reichen viel Liebe, Empathie und bedingungslose Unterstützung schon aus. Ganz wichtig ist auch, Geduld zu wahren. Seid geduldig mit eurem Kind. Und macht euch selbst nicht zu viele Selbstvorwürfe! Ihr könnt ein Kind nicht vor allem schützen.

Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick in die Thematik von Binge Eating geben. Wenn ihr noch Fragen habt, dann stellt sie ruhig.

Wenn ihr noch mehr über das Thema Essstörung erfahren wollt, dann lasst mich auch das gerne wissen!

Liebe Grüße
Mounia

PS.: Übrigens ist vor Kurzem mein Jugendbuch „Zwischen meinen Worten“ auf dem Markt erschienen. Die Protagonistin hat ebenfalls mit Binge Eating zu kämpfen – ich empfehle es also allen Betroffenen und auch jenen, die ein bisschen etwas über die Thematik erfahren wollen.

Mounia
About me

Ich - 25 Jahre alt, Studentin, Kinderanimateurin, begeisterte Hobbyköchin und abenteuerlustig! Meine absolute Leidenschaft ist das Schreiben und Festhalten von Momenten.

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