Simplicity Parenting – Warum meine Kinder nie beim Kinderturnen und Co. waren


Ein wenig egoistisch mag ich motiviert gewesen sein, jedes Mal, wenn ich wieder einmal beschloss, meinen Kindern all diese Frühförderungen wie Kinderturnen und musikalische Früherziehung nicht anzubieten. Nach meinem Arbeitstag hatte ich einfach keine Lust mehr, mich noch irgendwo unter konkurrierende Mütter zu mischen.

Aber das war nicht der einzige Grund.

Auch meine Kinder hatten einen langen Tag hinter sich, vollgepackt mit Basteln, Singen, Bauen, Klettern und Toben, wenn ich sie aus der Kita abholte. Wenn dann nachmittags noch ein Arzttermin anstand, wurde es schon anstrengend.

Außerdem bot auch die Kita verschiedene Nachmittagsangebote. Manchmal meldete ich meine Kinder an, manchmal auch nicht. Aber meistens verloren sie sowieso schnell wieder die Lust an diesen Kursen.

Irgendwann hatte ich meine beiden großen Kinder auch mal im Schwimmverein angemeldet.

Sie zeigten durchaus Talent, aber die Umstände waren irgendwie nicht familienvereinbar. Dreimal die Woche Training, spät nachmittags bis abends. Damit zwei Kinder trainieren konnten, musste ich mit allen vier Kindern los. Der Jüngste konnte da noch nicht mal laufen. Noch dazu überforderte ihn die Schwimmbadakustik, was er stets lautstark äußerte. Wir waren immer viel zu spät zu Hause, dann noch Abendessen und ab in die Betten – wenn die beiden Schwimmkinder nicht noch lernen mussten.

Es funktionierte für uns nicht. Es artete immer wieder in Stress und Hektik aus und der Spaß blieb irgendwann komplett auf der Strecke.

Und nun fragte meine Freundin mich vor ein paar Tagen, was ich vom Kinderturnen halte.

Immer noch nichts, gebe ich zu, und ich fragte sie, warum sie es für wichtig hält. Sozialverhalten und motorische Entwicklung waren ihre Stichworte, die sie in den Raum warf.

Das sind auf jeden Fall wichtige Fähigkeiten. Aber ihre dreijährige Tochter, um die es ihr geht, ist ja nicht alleine auf der Welt. Sie lebt mit zwei älteren Geschwistern zusammen, von denen sie eine Menge in Sachen Sozialverhalten lernen kann. Jeder Spielplatzbesuch fördert das und auch jeder Einkauf. Überall dort, wo man auf Menschen trifft, ist automatisch soziale Interaktion gefragt.

Und auch die motorische Entwicklung kommt ganz sicher nicht zu kurz. Die kleine Tochter meiner Freundin ist ein gesundes, spielfreudiges Kind. Es klettert, schaukelt, buddelt im Sand, kann laut und leise, wild und ruhig spielen.

Nein, ich sehe keine ernsthafte Notwendigkeit für einen Kurs wie Kinderturnen.

Ich erklärte meiner Freundin meine Sicht der Dinge, aber Ruhe ließ mir das Thema damit noch nicht. Deshalb habe ich ein bisschen das Internet durchforstet.

Natürlich findet man da ganz viele Befürworter all dieser Förderangebote. Aber schließlich bin ich dann doch auf genau das gestoßen, was ich gesucht habe:

Das Zauberwort heißt „Simplicity Parenting“, quasi so viel wie die „Ursprünglichkeit der Erziehung“.

Das Dilemma unserer Zeit ist, dass wir unseren Kindern alles bieten können – und es auch tun! Um uns herum stecken die Eltern mit ihren Kindern in einem rastlosen Treiben und wir glauben, dass das so sein muss. Treiben wir auf dieser Welle nicht mit, dann verstehen es die engagierten Eltern, uns das Gefühl zu geben, wir würden unseren Kindern nicht das Beste geben.

Aber genau da steckt das Problem:

Von Anfang an, sobald unsere Kinder auf der Welt sind, beginnen wir damit, sie zu überfrachten: mit zu viel Spielzeug, zu vielen Forderungen, zu viel Unterhaltung und von Anfang an zu vollen Terminkalendern. Kinder brauchen das nicht. Sie brauchen die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, sich intensiv selbst zu beschäftigen und zu sich selbst zu finden.

In seinem Buch Simplicity Parenting* beschreibt Kim John Payne die Auswirkungen dieses Überangebotes auf unsere Kinder.

Update, Dank einer Leserin, es gibt das Buch inzwischen auf Deutsch*!

*(affiliate Link, also Werbung) 

Seine Botschaften sind eindeutig: Ein „Zu viel“ von Allem kann dazu führen, dass ganz normale persönliche Eigenarten unserer Kinder verstärkt werden und sich zu Störungen entwickeln. Lebhafte wie auch verträumte Kinder entwickeln Aufmerksamkeitsdefizite, methodisch veranlagte Kinder können zwanghafte Verhaltensweisen entwickeln.

Von Payne und seiner Erziehungsphilosophie des Simplicity Parenting habe ich gerade erst zum ersten Mal gelesen, aber darin stimme ich mit ihm vollkommen überein: Weniger ist mehr. Nicht nur im Terminkalender, sondern auch im Kinderzimmer.

Warum sich das vorteilhaft auf die Entwicklung unserer Kinder auswirkt, darüber habe ich hier schon einmal geschrieben. Ich denke, ich habe instinktiv die richtigen Schlüsse aus den Erfahrungen in den ersten Jahren mit meinen Kindern gezogen.

Es liegt in unserer Hand.

Simplicity Parenting bedeutet, dass wir unseren Kindern das Leben vereinfachen, indem wir das Überangebot an Spielzeug, Unterhaltung und Terminen auf ein sinnvolles, nötiges Maß reduzieren.

Lassen sich organisierte Nachmittagsaktivitäten gut integrieren, ohne dass sie zusätzlichen Stress erzeugen und zur lästigen Pflicht werden, spricht natürlich nichts dagegen. Aber verlieren die Kinder den Spaß an der Sache, sollte man aufmerksam werden. Der ganz normale Alltag verlangt unseren Kindern schon eine Menge ab. Wir als Eltern stehen in der Pflicht dafür zu sorgen, dass unsere Kinder auch noch Zeit finden zum Luftholen, Abschalten und Erholen.

Die Komplexität des Lebens kommt noch früh genug auf sie zu. Bis dahin sollen sie Zeit haben Kinder zu sein und zu gesunden, glücklichen und stabilen Erwachsenen heranwachsen.

Liebe Grüße

Eure Doro

P.S. Ihr wollt euch das merken? Am besten bei Pinterest…

Doro
About me

Vom Stadtkind zur Landmama. Heimwerkerin und Basteltante, Bücherratte und Bilderdenkerin. Gnadenloser Optimist. Nachteule und Langschläfer. Immer neue Flausen im Kopf. Single-Mom in einem 4-Kinder-Haus und Vollzeit im Beruf. Büroflüchtling, wann immer ich kann. Verliebt in den Himmel und die Magie von Büchern ... Und irgendwann schreibe ich selbst ein Buch.

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2 Kommentare

Lydiaswelt
Antworten 2. Dezember 2018

Liebe Doro! Meine Kinder waren in einem Ganztagskindergarten. Zweimal in der Woche hat mein Sohn Fußball gespielt, weil er es wollte. Das war möglich, weil eine andere Mutter aus demselben Verein mein Kind mit abholen konnte. Für mich blinde Mutter, die ausschließlich zu Fuß oder mit dem ÖPNV unterwegs war, waren viele Angebote nur mit großem Organisationsaufwand und Fahrtkosten möglich. Den Stress habe ich mir nicht gegeben. Dafür hatten meine Kinder nachmittags Zeit auf den Spielplatz zu gehen oder sich mit Freunden zum Spielen zu verabreden. Ich finde, das ist wichtiger als ein voller Terminkalender für Kind und Familie.

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