Soll ich meinen Kindern von meinem Trauma und meiner PTBS erzählen? Und wie? – Teil 1


Wir haben einige Anfragen erhalten zum Thema: „Wie und wann spreche ich mit meinen Kindern über meine Posttraumatische Belastungsstörung?“ (=PTBS)

Vorab: Wie viele Eltern sind eigentlich so reflektiert, dass sie schauen, wie sich ihr eigenes Verhalten und ihre persönliche Entwicklung auf ihre Kinder auswirkt? Gerade Trauma und PTBS gehen oft mit Schuldgefühlen, Scham und Überforderung daher. Wer sich also die Frage stellt, ob er seinen Kindern damit schadet und ob er mit ihnen darüber sprechen sollte: Hut ab! Und ich möchte euch heute bestärken.

Da ich selbst eine PTBS habe, versuche ich mich mal an diesem Thema.

Meine Söhne waren 13 und 17 zum Zeitpunkt meines Traumas. Ich kann also eher darüber schreiben, wie ich das mit meinen Teenagern gehalten habe und was ich in der Therapie zu diesem Thema gelernt habe. Denn auch ich habe meinem Therapeuten damals die Frage gestellt: „Soll ich es meinen Söhnen sagen?“

Ganz wichtig: Wenn dieser Artikel euch triggert, dann bitte nicht weiterlesen. Ich werde keine Inhalte zu meinem Trauma preisgeben. Dieser Punkt ist für mich auch in einem Gespräch zum Trauma mit den Kindern relevant: Keine Details! Ja, viele traumatisierte Menschen können auch selbst nicht über die Details sprechen oder sich erinnern.
Und jeder Mensch, jede Familie, jede Beziehung ist anders. Ich hoffe, es kann trotzdem hilfreich für einige sein.

Für alle, die nicht genau wissen, was eine Posttraumatische Belastungsstörung ist:

„Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist eine psychische Erkrankung, die als Folge auf ein traumatisches Erlebnis auftreten kann.
Traumatische Erlebnisse sind extrem bedrohliche oder schreckliche Situationen, die das Leben oder die Sicherheit von einem selbst oder anderen bedrohen.“ – (Quelle: Psychenet s. Link oben)

Einige Symptome:

– Wiedererleben / Flashbacks
– Albträume
– emotionale Taubheit / Stumpfheit
– Dissoziationen
– Übererregung
– Schlafstörungen
– Reizbarkeit
– Schreckhaftigkeit
– Konzentrationsstörungen
– niemandem mehr vertrauen können
– Ängste
– Schuld- /Schamgefühle
– Ohnmachtsgefühle
– Gefühl ständiger Bedrohung

Und noch vieles mehr. Auch Jahre nach meinem Trauma habe ich diese PTBS Symptome immer noch.

Menschen, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurden, bei denen zieht sich das manchmal durch das ganze Leben.

Über die komplexe PTBS schreibe ich nicht. Damit habe ich keine Erfahrung. (wiederholte Traumatisierungen)

Egal, ob die PTBS schon vor der Geburt der Kinder da war oder erst später passierte: Sie hat Auswirkungen auf das gesamte Leben und auch auf die Menschen in unserem Leben.

Genauso wie eine schwere äußere Verletzung beeinflusst das Trauma – als innere Verletzung – unser Leben.
Was mir wichtig ist: Ich habe gehört, dass Eltern ihren Kindern (und auch anderen Menschen) erklären wollen, warum sie eben nicht „normal“ reagieren.

Dazu habe ich in der Therapie gelernt: Meine Reaktionen sind normal auf ein abnormales Erlebnis.

Viktor Frankl:

„Eine abnormale Reaktion auf eine abnormale Situation ist normales Verhalten. “

Ich verhalte mich also „normal“. Das an dieser Stelle für euch vielleicht zum Entwickeln von Selbstmitgefühl. Möglicherweise möchtet ihr das auch euren Kindern so erklären. Genauso wie ich mit einem gebrochenen Bein nicht mehr hüpfen kann, kann ich mit einem Trauma eben auch bestimmte Dinge nicht mehr oder anders als vorher.

Vor dem Gespräch mit meinen Jungs habe ich mir Gedanken gemacht:

Warum möchte ich es ihnen sagen?
Wann sage ich es ihnen?
Welche Fragen möchte ich ihnen beantworten?
Was sage ich ihnen?
Wie gehe ich mit starken Gefühlen um, die vielleicht bei den Jungs und mir aufkommen?

Vielleicht gehen euch solche Sachen auch durch den Kopf. Bei mir war mein Therapeut mein Sparringspartner für die Vorbereitung. Falls ihr jemanden habt, dem ihr vertraut (PartnerInnen, FreundInnen etc.) könnt ihr das Gespräch ja vorher mit ihnen durchgehen. Stress und Unsicherheit werden somit vorher schon etwas aus dem Weg geräumt.

Auch Pausen können geplant werden und ihr könnt euch schon überlegen, wie ihr mit bestimmten Dingen umgehen werdet. Vielleicht möchtet ihr euch auch vorher Notizen machen. Ich neige dazu, in Situationen, die mich überfordern, den Faden zu verlieren. Hier hilft es mir, wenn ich mir vorher schon wichtige Punkte aufschreibe.

Auch eine Meditation hat mir geholfen, mich vor dem Gespräch einzustimmen.

Wer sich noch überhaupt nicht sicher ist, ob er seinem Kind von der PTBS erzählen möchte, kann sich eine Pro und Kontra Liste machen. Punkte hier könnten sein:

Pro
1. Ich möchte nicht, dass mein Kind denkt, es liegt an ihm, wenn ich Traumareaktionen zeige.
2. Ich möchte nicht, dass sich mein Kind ängstigt.
3. Ich möchte eine offene und ehrliche Beziehung zu meinem Kind. Meine PTBS ist Teil meines Lebens und von mir.
4. Mein Kind spürt, es hat sich etwas verändert.
5. Wenn ich über meine Gefühle spreche, lebe ich es vor, wie wichtig das in Beziehungen ist.
6. Wenn ich über meine PTBS spreche, hilft das meinem Kind vielleicht mehr Mitgefühl und Empathie zu entwickeln. Es zeigt auch, dass es im Leben schwierige Situationen gibt und Menschen manchmal straucheln.

Kontra
1. Mir fällt es schwer, über die PTBS zu sprechen. Und ich verstehe die Symptome ja selbst nicht so richtig.
2. Ich möchte meine Kinder nicht mit solchen Dingen belasten und sie sollen sich keine Sorgen um mich machen.
3. Ich schäme mich für meine PTBS.
4. Ich habe Angst, ich werde in dem Gespräch von starken Emotionen überrollt und das könnte auch mein Kind ängstigen.
5. Ich mache mir Sorgen, dass andere Menschen dann von meinem Kind davon erfahren.

Das waren jetzt fiktive Beispiele. Ich zum Beispiel habe mich sehr geschämt und wusste gleichzeitig, meine Söhne bemerken meine Symptome und ich wollte ihnen die Sicherheit geben: Es liegt nicht an euch. Vor allem haben sie von mir auch an die Hand bekommen, wie ich jetzt in bestimmten Situationen reagiere, kann ich (noch) nicht steuern. Das habe ich in der Therapie nach und nach gelernt und auch heute noch passieren mir Dinge wie: Ich dissoziiere, ich erschrecke mich sehr, ich brauche manchmal viel Ruhe, ich habe Albträume und schreie nachts im Schlaf. Und momentan bin ich in einer Phase von emotionaler Taubheit.

Denn die Trigger, die traumatisierte Menschen in sich tragen, die werden nun mal ausgelöst. Daran arbeiten, heilen, das dauert. Je älter die Kinder sind, kann ich auch mit ihnen über Trigger sprechen.

Meine Jungs wussten dann z. B.:

Bitte nicht von hinten an mich leise ran treten.
Wenn laute Geräusche kommen, erschrecke ich oder dissoziiere.
Manchmal bin ich so gereizt, da muss ich mich erst beruhigen und brauche Abstand.

Hier vorab: Ja, es ist natürlich superwichtig, dass ich gelernt habe, mich selbst besser zu regulieren! Dazu mehr im nächsten Artikel.

Eine Story hier von uns:

Vor zwei Jahren war ich noch sehr viel schreckhafter. Meine Söhne wussten schon Bescheid. In der Straßenbahn saß mir mein Teenager gegenüber und die Bahn bremste plötzlich: Traumareaktion, Schockstarre.
Mein Kind nahm vorsichtig meine Hände (Mama, ich fasse dich jetzt an) und flüsterte: „Du bist in Sicherheit. Die Bahn hat nur gebremst. Es ist alles gut.“

So wertvolle Momente! Und mein Sohn hat nicht aus dem Impuls gehandelt, er ist für mich verantwortlich, sondern er wollte mich unterstützen. Weil er gesehen und gefühlt hat, was in mir passiert.

Zurück zum Artikel und den Gesprächen.

Eure Pro- und Kontra Punkte könnt ihr euch dann vorher gut überlegen. Ihr könnt euch belesen und mit anderen Menschen austauschen, auch vielleicht mit einer Fachkraft.

Kinder verstehen sehr viel! Und Kinder merken vor allem auch viel.

Für mich ist es auch nicht notwendig, mit den Kindern über das Trauma im Detail sprechen, um über die PTBS sprechen zu können. Die PTBS ist der Zustand jetzt! Darum geht es.

Ich fasse mal bis hierher zusammen:

Vor dem Gespräch:

Die Unterhaltung vorbereiten, gern mit Unterstützung. Und es gibt auch die Möglichkeit, dass eine andere Person bei diesem Gespräch dabei sein wird.
Seid euch darüber klar, was ihr den Kindern mitteilen wollt. Und stellt euch darauf ein, dass es in diesem Gespräch vielleicht emotional zugeht: bei den Kindern und bei euch selbst. Hier ist eine Vorbereitung wichtig.

Während des Gesprächs:

Vorsichtig starten und nicht alles auf einmal.
Der Einstieg hängt von euch ab und der Beziehung zum Kind. Mal ein paar Möglichkeiten:
„Mir ist vor langer Zeit etwas passiert und das beschäftigt mich noch heute.“
„Ich möchte mit dir teilen, wie ich mich fühle, weil mir Offenheit wichtig ist.“
„Ich möchte dir gern erzählen, wie es mir geht. Alles kann ich dir nicht erzählen, weil es für mich sehr schwer ist.“
„Ich möchte dir von meiner PTBS erzählen. Das ist nicht einfach für mich. Ich hoffe, dass du mich dann besser verstehen kannst.“

Zwischendurch Pausen machen und auch (altersgerecht) nachfragen, was die Kinder verstanden haben. Ihr könnt nachfragen, wie sich die Kinder jetzt fühlen und ob es Fragen gibt. Vielleicht fangen auch die Kinder an zu erzählen und steuern das Gespräch. Das ergibt sich. Meine Teenager haben lange zugehört und viele Fragen gestellt. Bei jüngeren Kindern ist das womöglich anders.

Altersgerechte Sprache verwenden! Ja, ich habe Fachausdrücke benutzt: Trigger, Dissoziation und Flashbacks. Auch von meinen Albträumen habe ich berichtet. Das haben die Jungs ja sowieso nachts mitbekommen.

Bei jüngeren Kindern vielleicht ein: Manchmal bin ich ärgerlich. Manchmal brauche ich Ruhe. Manchmal kommen Erinnerungen und die fühlen sich nicht schön an. Ich kann nur wenig schlafen und bin oft müde.
Eher also auf die Gefühle eingehen und was in euch vor sich geht. Und dass es nichts mit den Kindern zu tun hat.
Ausdrücken, dass ihr wisst, die PTBS hat Auswirkungen und ihr möchtet, dass die Kinder das verstehen.

Der Abschluss von unserem Gespräch war auf jeden Fall die Versicherung: Ich arbeite daran und habe mir Hilfe gesucht.

Und wir werden auch trotz PTBS schöne Momente miteinander erleben. Uns hat dieses Gespräch einander viel näher gebracht.
Und ja: Ich hätte mir auch etwas anderes gewünscht. Ich habe mich so verdammt geschämt und ich hatte Schuldgefühle. Auf keinen Fall wollte ich allerdings, dass meine Jungs Ängste und Schuldgefühle haben, weil sie nicht wissen, was mit mir los ist.

Ein Gespräch wird vielleicht auch nicht genügen und was mir sehr wichtig war: Den „Kommunikationskanal“ immer offen halten.

Meine Jungs können jederzeit alles ansprechen. Auch wenn sie mal unsicher oder verärgert sind, wie ich reagiere. Das Thema ist hier nicht tabu. Generell sprechen wir hier ja Bedürfnisse und Gefühle offen an.

Der Artikel ist jetzt doch länger geworden, als ich dachte. Und ich werde demnächst noch einen 2. Teil schreiben. Ich konnte längst nicht alles abdecken. Da ich gerade auch mitten in einer PTBS Reaktion stecke und kaum noch etwas fühle, fällt mir das Schreiben auch nicht so leicht wie sonst.

Für den nächsten Teil: Stellt gern Fragen! Die baue ich dann mit ein.

mindfulsun

mindfulsun
About me

Mensch, Mama zweier Jungs, die versucht ihre Werte zu leben und die innere Balance zu halten. Ich schreibe über Achtsamkeit, vegane Ernährung, Nachhaltigkeit und verbindende Kommunikation von Herzen. Was ich mir wünsche? Einander mit mehr Mitgefühl und Empathie zu begegnen, überall auf der Welt.

DAS KÖNNTE DIR AUCH GEFALLEN

Frühzeitig Raum für (psychische) Gesundheit schaffen und Krankheiten nicht ausbrechen lassen: Prävention
12. Mar 2022
Muss ich erst etwas etwas überwinden, um stark zu sein? – Stimmt für mich nicht
05. Feb 2022
Traumatische Erlebnisse: Über die schweren Dinge im Leben kann man manchmal nicht sofort reden
24. Jan 2022
Mein Assistenzhund Happy schenkt mir Lebensqualität, die mir vor vielen Jahren verloren gegangen ist – Gastbeitrag von Lena
10. Aug 2021
Warum Überlegungen wie die „Rastertherapie“ zeigen, dass psychische Krankheiten noch immer stigmatisiert werden.
02. Jun 2021
Wie erkläre ich Kindern und Jugendlichen, was eine Therapie ist und wie sie funktioniert?
27. Aug 2020
„Wenn das Herz zwischen Himmel und Erde wohnt“ – die Geschichte einer Sternenkind-Mutter
26. Feb 2020
Nachtrag zum Beitrag übers Lästern – mit einem besonderen Dank auch an die Kritiker
10. Jun 2019
Warum Achtsamkeit für mich keine verlogene Gefühls-Unterdrückung ist
02. May 2019

DAS KÖNNTE DICH AUCH INTERESSIEREN

Werbung

Einen Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem Stern (*) markiert.