Warum ich mein Kind im Kreißsaal (fast) allein bekam – eine Hebamme, ein Schichtwechsel und ein Baby, das es eilig hat


Ich hatte mir das so schön ausgemalt. Zwei Kinder hatte ich schon geboren und für mein drittes Kind hatte ich ganz genaue Vorstellungen davon, wie ich es zur Welt bringen wollte. In einer Hebammenpraxis, ohne den sterilen Neonröhren-Klinikcharme und vor allem ohne Arzt.

Ich hatte vollstes Vertrauen in mich und das in mir heranwachsende Leben. Was sollte also schief gehen?

Ab der 24. Woche nahm ich die Vorsorgetermine bei meiner wunderbaren Hebamme in der Hebammenpraxis wahr, dort fühlte ich mich wohl. Wer von meinem Vorhaben nicht zu überzeugen war, das war der Vater meines Kindes. Da half alles Zureden nichts, auch nicht das Gespräch unter 6 Augen gemeinsam mit meiner Hebamme.

Also suchte ich mir kurz vor dem Entbindungstermin noch schnell eine Belegärztin für das Krankenhaus, in dem ich auch meine erste Tochter entbunden hatte. Dort hatte ich mich damals gut betreut gefühlt und kam mit fast allen Hebammen gut zurecht.

Ein paar Tage vor dem errechneten Termin ging es einfach los!

Es wurde ein bisschen ungemütlich im Bauch und der Schleimpfropf verabschiedete sich. Hier und da zwickte mal eine Wehe. Mir war klar, heute ist es soweit. Noch sagte ich aber nichts, ich hatte noch keine Lust auf Klinik. Außerdem wollte ich gerne noch die Putenbrust essen, die gerade im Ofen schmorte. Erst danach klärte ich den zukünftigen Vater schließlich über die Lage auf und binnen kürzester Zeit saßen wir im Auto.

Punkt 19:30 Uhr parkten wir vor dem Krankenhaus und 5 Minuten später standen wir im Kreißsaal. Ich erklärte der diensthabenden Hebamme, dass die Geburt wahrscheinlich nicht lange dauern wird, wofür sie sich aber nicht sonderlich interessierte. Sie legte das CTG an, untersuchte mich und kommentierte: „Muttermund 2 cm offen, dehnbar auf 3. Wir haben noch jede Menge Zeit.“ Ein Ruck ging durch meinen Bauch. Platsch! Unter der Untersuchung verabschiedete sich die Fruchtblase. Sofort setzten kräftige Wehen ein, die mir kaum 3 oder 4 Minuten Erholung ließen.

Eine Weile später kam die Hebamme noch einmal vorbei, blickte auf den Wehenschreiber, untersuchte mich kurz und wandte sich an den werdenden Vater: „Gehen Sie mal Ihre Frau anmelden, das dauert hier noch etwas. Und wir machen jetzt erstmal Schichtwechsel.“

Und auf einmal lag ich da mutterseelenallein.

Ich atmete mich durch meine Wehen und niemand begleitete mich oder schaute wenigstens mal nach mir. Die Wehen steigerten sich deutlich und veränderten sich. In meinem Kopf rotierte es. Sind das Presswehen? Darf ich pressen? Diese Frage ist so absurd. Den Pressdrang kann Frau nicht steuern, ohne gegen ihren eigenen Körper zu arbeiten.

Bei meinen ersten beiden Entbindungen half die Hebamme nach und schob den Muttermundsaum über das Köpfchen. Aber jetzt war ja keine da. Wieder kam eine Presswehe und ich beschloss, nicht noch einmal dagegenzuarbeiten. Ich entspannte mich, ja tatsächlich. Oben in meinem Bauch gab es einen kräftigen Ruck und im nächsten Augenblick rutschte etwas durch den Geburtskanal. Das irritierte mich und ich tastete vorsichtig.

Um Himmels Willen! In meiner Hand hielt ich den Kopf meines Kindes!

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte nicht mein Kind alleine zur Welt bringen. Ich suchte nach der Klingel, die unerreichbar hinter mir hing. Mir blieb also nichts anderes übrig, als nach Hilfe zu rufen. Quer durch die Station. Macht man auch wirklich gerne, wenn man gerade ein Kind bekommt. Endlich ließ sich wieder eine Hebamme blicken, gefolgt vom werdenden Vater. Sie erfasste kurz die Situation, sprang an das Fußende meines Bettes und half mit ein paar letzten Handgriffen meinem Kind auf die Welt. Erst dann stellte sie sich mir vor. Sie hatte gerade ihre Nachtschicht damit begonnen, die Geburt meines Kindes zu vollenden. Um 20:22 Uhr, eine dreiviertel Stunde nachdem wir den Kreißsaal bezogen hatten.

Unumstritten war das eine easy Geburt. Traumhaft schnell. Einfach. Ohne Komplikationen.

Die Folgen spürte ich erst später. Die körperlichen und die psychischen. Die mangelhafte Unterstützung unter der Geburt bescherte mir eine Symphysenlockerung, zeitweise konnte ich mich nur auf allen Vieren schmerzfrei fortbewegen. Meine vierte Schwangerschaft wurde damit zur Qual, und dank dieses riesigen Vertrauensbruchs durch die Hebammen war ich nicht in der Lage, auch mein viertes Kind auf natürlichem Wege zur Welt bringen.

Ich hätte gerne noch am selben Abend die Klinik verlassen, dafür war es nun schon zu spät. Aber am nächsten Morgen hielt mich nichts mehr dort. Ich rief meine eigene Hebamme an und ließ mich vom frischgebackenen Vater nach Hause fahren.

Liebe Hebammen, ihr habt ein ganz besonderes Handwerk gelernt. Ihr macht das jeden Tag und ihr macht es fast immer wirklich gut. Aber manchmal dürft ihr ruhig auch auf das Gespür einer Mutter hören…

Liebe Grüße,

Eure Doro

Béa hat schon bei dem letzten Beitrag um das wertvolle Gespür einer Hebamme,
die ein Baby gerettet hat, nach euren Geschichten gefragt.
Auch andere Themen und Erlebnisse von euch sind uns willkommen!
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Doro
About me

Vom Stadtkind zur Landmama. Heimwerkerin und Basteltante, Bücherratte und Bilderdenkerin. Gnadenloser Optimist. Nachteule und Langschläfer. Immer neue Flausen im Kopf. Single-Mom in einem 4-Kinder-Haus und Vollzeit im Beruf. Büroflüchtling, wann immer ich kann. Verliebt in den Himmel und die Magie von Büchern ... Und irgendwann schreibe ich selbst ein Buch.

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1 Kommentare

Corinna
Antworten 2. März 2021

Genauso ging es mir auch. Die Geburt hat gerade mal 23 Minuten gedauert. Ich hätte sofort presswehen und die Hebamme hat mir nicht geglaubt. Als ich zur Toilette musste hat sie den kreißsaal verlassen. Ich kam von der Toilette und stand alleine im kreißsaal und bekam mein Kind. So alleine und hilflos fühlte ich mich noch nie. Mein Mann war erst auf dem Weg in die Klinik. Als die hebamme wieder kam wollte sie nach dem Muttermund gucken. Ich sagte ihr sie ganze Zeit das ich presswehen hatte aber sie glaubte mir immer noch nicht. Als ich es alleine auf das Bett geschafft hatte und meine Beine öffnen konnte, war der Kopf schon da. Bei der nächsten presswehe rutschte der Körper nach.

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