Beruhigen der Nerven – 12 SOS Strategien, die mir helfen


Da es mir diese Woche seelisch eher bescheiden geht (um, nicht das andere Wort mit besch…) zu nutzen, möchte ich mit euch die SOS-Version zum Beruhigen meiner Nerven teilen. Hier mische ich für mich mittlerweile Strategien, die ich in der Traumatherapie gelernt habe und Achtsamkeit. Wertvolle Tipps, die mir schon oft geholfen haben.

Bevor ich starte, möchte ich das Toleranzfenster* beschreiben. Mein eigenes Nervensystem zu kennen, spielt für mich eine sehr wichtige Rolle.

Das Toleranzfenster hat jeder Mensch und es ist individuell!  Innerhalb dieses Fensters können wir den Tag gut bewältigen, mit Stress und schwierigen Zeiten umgehen, sind in der Lage, Emotionen zu regulieren.

Umgangssprachlich: Innerhalb des Fensters ist es möglich, einen kühlen Kopf (also die kognitive Kontrolle) zu bewahren.

Es ist möglich, am oberen Rand zu sein: ängstlich, aufgeregt, unruhig usw. Und es ist möglich, am unteren Rand zu sein: müde, schlapp oder ich möchte mich zurückziehen. Das kann besonders in individuell akuten Situationen eintreten. Innerhalb dieses Fensters ist es mir allerdings möglich, achtsam auf mich, meine Gedanken und Gefühle zu achten. Außerhalb dieser Zone wird das schwieriger. An dieser Stelle mal ein Versuch von mir, das zeichnerisch darzustellen (ist eigentlich nicht so mein Ding!“):

Mein Toleranzfenster mit der Wohlfühlzone und Unterregung und Übererregung

Ich habe hier versucht, verständlich zu machen: Innerhalb der „Wohlfühlzone“ – in der ich in der Lage bin mich zu regulieren –  gibt es auch ein auf und ab. Ich bin nicht den ganzen Tag im gleichen Zustand.

Die Übererregung (hier geht es um das Nervensystem) kann sich äußern in: Ängste, Panikattacken, Schlafstörungen, keine Konzentration mehr möglich, extreme Wut, Herzrasen, emotionale Überwältigung und noch viel mehr.

Die Untererregung kann sich äußern: chronische Müdigkeit, innere Leere, tiefe Abgeschlagenheit, Gefühlstaubheit und noch viel mehr.

Auf Dinge wie: Depression, Flashbacks etc. gehe ich hier nicht ein. Die könnte ich hier einsortieren.
Mir geht es eher darum zu zeigen, manchmal passiert es eben, dass jemand auch außerhalb seines Toleranzfensters fällt. Besonders bei anhaltendem Stress. Und manchmal ist dann auch professionelle Hilfe nötig, um Techniken zu erlernen und die möglichen Auswirkungen von Stress auf das eigene Nervensystem oder den eigenen Körper besser zu erkennen.

Wenn ich also heute über SOS Strategien und die verschiedenen Tipps schreibe, dann kann ich das so am Besten erklären:

Ich habe Strategien dafür, wenn ich noch innerhalb des Toleranzfensters bin, allerdings hier eher am oberen oder unteren Rand schlittere  (in der Zone, wo ich mich regulieren kann) und es gibt Techniken, wenn ich in Ausnahmesituationen gerate.

Abgesehen von allen Techniken, die ich heute aufführe, die eben für meine Notfälle gut geeignet sind: Training ist wichtig! Die Fähigkeit zur (Selbst) Beruhigung langfristig trainieren.
Auf keinen Fall nervös werden? Nein, mit der Nervosität und dem Stress besser umgehen können!

Jeden Tag Training und das bedeutet auch, ich kenne mein Toleranzfenster. Ich kann meistens in mich spüren und merke: Hoppla, hier kommt die innere Unruhe und es ist wichtig, etwas zu tun! Achtsamkeit und die tägliche Meditation helfen mir dabei. Tägliches dran arbeiten, gehört für mich dazu. Und ja, es gibt es auch Situationen, wo ich merke, ich komme in Regionen außerhalb meiner Wohlfühlzone und es gibt Situationen (gerade mit der PTBS), da rausche ich noch unbemerkt in die Übererregung oder in die Untererregung.

Wenn mir wirklich der Arsch platzt (ja, das gibt es auch!) dann erde ich mich mit bestimmten Techniken.

Vielleicht sind diese Beispiele für den einen oder anderen hilfreich, auch in besonders stressigen Situationen.

Am Anfang gleich „schweres Geschütz“. Wenn ich also merke, mir platzt gleich der Popes, ich bin kurz vorm Explodieren, ich bin sehr ängstlich, gestresst oder total unruhig:

1. Ein scharfes Ingwerbonbon lutschen oder in ein Stück Zitrone beißen!

Das bringt mich schnell wieder ins hier und jetzt. Ja, etwas Scharfes essen, kann ein beruhigendes Mittel sein. Auch einen Eiswürfel in die Hand nehmen: Die Kälte spüren und zusehen, wie er zerfließt, finde ich für mich hilfreich.

2. Füße in den Boden pressen!

Die Verbindung zwischen Boden und meinen Füßen spüren. Das gibt mir Halt auf mehreren Ebenen.

3. Auf den Atem achten!

Seit ich meditiere, ist mein Atem mein Anker geworden. Das kann ich im Stehen, Liegen, Sitzen – überall. Gerade in stressigen Situationen oder wenn ich aufgewühlt bin, nervös bin, vor schwierigen Gesprächen –  helfen mir Atemübungen sehr:
Augen schließen (muss nicht sein), tief durch die Nase einatmen und durch den Mund wieder aus. Den Atem spüren und ihm folgen, ihn innerlich beobachten. In emotionalen und stressigen Ausnahmesituationen hilft es mir besonders auf das Ausatmen zu achten. Das Ausatmen bis zum Schluss innerlich beobachten, bis der Körper wieder einatmet. Was ganz wichtig ist: Gedanken und Gefühle werden dabei aufkommen und wieder gehen. Ich habe gelernt, das nicht zu unterdrücken. Wenn ich merke, da kommt ein Gefühl oder ein Gedanke, erkenne ich das, benenne es: Gefühl oder Gedanke und kehre wieder zum Atem zurück. Nicht versuchen krampfhaft den Kopf zu leeren, das funktioniert nicht. Wieder und wieder zum Atem zurückkehren.
Mir helfen mittlerweile 1 bis 3 Minuten und ich bin wieder bei mir und ruhiger.

4. Mich orientieren!

Das hilft mir besonders, wenn ich ängstlich bin oder unsicher. Dann schaue ich mich um, wo ich gerade bin. Wenn ich in einem Zimmer bin: Welche Gegenstände sehe ich?  Ansonsten eben überall: Was kann ich riechen? Was kann ich hören? Fühle ich vielleicht gerade etwas auf meiner Haut, wie den Wind?

5. Mir einen sicheren und schönen Ort vorstellen.

Das habe ich in der Traumatherapie gelernt und habe es einfach für andere Situationen übernommen. Ich visualisiere einen für mich schönen Ort, an dem ich mich wohlfühle. Im Laufe der Jahre habe ich den für mich komplett ausgestattet und mit Dingen und Menschen gefüllt, die ich liebe. Das kann ein Ort sein, an dem ihr schon wart oder ihr lasst eurer Fantasie freien Lauf. Wenn ihr euch einen solchen Ort geschaffen habt, könnt ihr jederzeit dahin zurück. Mir hilft das oft sehr, zur Ruhe zu kommen.

6. Das Alphabet rückwärts aufsagen! 

Klingt einfach? Ist es vielleicht in einem ruhigen und stressfreien Moment.
Diese „Übung“ braucht viel Konzentration und Fokus. Die gesamte Aufmerksamkeit wird dahin gelenkt. Hilft mir, wieder im Moment zu sein.

Wenn ich also merke „Ah, da läuft gerade ein unruhiger Prozess in mir an“:  Z, Y, X…
Das geht überall.

7. In mich reinhören und das auch mehrmals am Tag.

Was fühle ich gerade? Oft genug nämlich sammelt sich unterbewusst schon etwas an und das kommt dann mit einem Knall raus. Hier kann ich mich schon frühzeitig regulieren und wenn nötig auch beruhigen. Für mich ist das eine wertvolle Möglichkeit wirklich mit mir selbst in Verbindung zu sein. Die Grundlage für jegliche Selbstfürsorge!

8. Jetzt kommt keine Technik, sondern ein Fakt: Ruhe muss ich mir nicht verdienen!

Mein Körper und mein Nervensystem brauchen Auszeiten und Ruhe. Natürlich lasse ich nicht alles sofort fallen. Wenn ich allerdings merke, die Konzentration lässt nach, ich werde müde oder schlapp: Dann nehme ich mir etwas Zeit für mich! Und damit meine ich nicht unbedingt ein Nickerchen. Da reicht mir auch ein kleiner Spaziergang, ein Kaffee und dabei die Beine baumen lassen…oder oder.

9. Dinge in meinem Umfeld berühren.

Auch das wieder, wenn ich merke, ich möchte mich erden. Das kann alles sein: der Stuhl, ein Apfel, ein Kissen, ein Stift – egal was da gerade verfügbar ist. Wie fühlt sich das an? Hart oder weich, ist es kalt oder warm? Welche Farbe hat es?

10. Bewegung!

Schon alleine aufstehen, aus dem Zimmer gehen kann hilfreich sein. Raus in die Natur, auch wenn es nur 5 Minuten um den Block sind! Rennen, wenn viele starke Gefühle im Körper sind, Hampelmänner machen, wild tanzen… oder oder. Bewegung hilft bei der Regulation und dem Nervensystem. (Nicht nur dem, dem Körper tut das ja auch gut)

11. Das Zwischenmenschliche möchte ich nicht vergessen.

Jemanden umarmen. Und ja, wenn diese für mich sehr wertvolle Möglichkeit der Beruhigung gerade nicht geht, umarme ich mich auch mal selbst. Hört sich vielleicht etwas befremdlich an, versucht es gern mal. Alternativ könnt ihr euch eine Hand auf das Herz und die andere auf den Bauch legen.
Jemanden anrufen! Mich mit jemandem verbinden. Wenn mir danach ist.

12. Der letzte Punkt ist einer der wichtigsten für mich: Selbstmitgefühl

Mir selbst Empathie geben, mir mit Selbstmitgefühl begegnen. Und hier hilft mir so manches Mantra. Ob ich das nun laut sage oder in meinem Kopf. Eines davon ist für mich: „Auch das geht vorüber!“
Damit ich mich selbst nicht vergesse und dass ich wichtig bin, genau für solche Momente des Selbstmitgefühls hat mir meine Trauma Therapeutin etwas geschenkt. Das teile ich jetzt mal, vielleicht ist das auch eine Idee für euch. Eine kleine Fingerpuppe. Sie ist immer in meiner Tasche und in meiner Nähe und sie hat auch einen Namen von mir bekommen. 🙂

selbstgemachte Fingerpuppe zur Erinnerung ans Selbstmitgefühl und zur Beruhigung

 

Am Ende noch mal die Erinnerung: Mich in Achtsamkeit üben, und das täglich hilft mir natürlich, mich innerhalb meiner „Wohlfühlzone“ zu bewegen und auch mit Stress und starken Gefühlen umzugehen. SOS Übungen sind  vorrangig für Notfälle in dieser Zone gedacht. Das gehört für mich zur Selbstfürsorge und hilft mir, meine inneren Ressourcen zur Beruhigung langfristig auszubilden und zu stärken. Die Beispiele der SOS-Übungen sind vorrangig für Notfälle in dieser Zone gedacht. Wichtig ist es, eine starke Grundlage zu schaffen.

Ich würde mich freuen, wenn ihr in den Kommentaren schreibt, was eure wichtigsten Techniken sind, um euch im Notfall zu beruhigen. Das können wertvolle Tipps auch für andere Menschen sein. Gerne her mit euren Beispielen! 🙂

mindfulsun

*von Dr. Dan Siegel entwickelt

mindfulsun
About me

Mensch, Mama zweier Jungs, die versucht ihre Werte zu leben und die innere Balance zu halten. Ich schreibe über Achtsamkeit, vegane Ernährung, Nachhaltigkeit und verbindende Kommunikation von Herzen. Was ich mir wünsche? Einander mit mehr Mitgefühl und Empathie zu begegnen, überall auf der Welt.

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