SOS Hilfen für das Ende der Nerven
Da es mir diese Woche seelisch eher bescheiden geht (um, nicht das andere Wort mit besch…) zu nutzen, möchte ich mit euch teilen, wie ich mit unangenehmen Gefühlen umgehe. Und zwar die SOS-Version. Hier mische ich für mich mittlerweile Strategien, die ich in der Traumatherapie gelernt habe und Achtsamkeit.
Bevor ich starte, möchte ich das Toleranzfenster* kurz umschreiben.
Das hat jeder Mensch und es ist individuell! Innerhalb dieses Fensters können wir den Tag gut bewältigen, mit Stress umgehen, sind in der Lage, Emotionen zu regulieren. Es ist möglich, am oberen Rand zu sein: ängstlich, aufgeregt, unruhig usw. Und es ist möglich, am unteren Rand zu sein: müde, schlapp oder ich möchte mich zurückziehen. Innerhalb dieses Fensters ist es mir möglich, achtsam auf mich, meine Gedanken und Gefühle zu achten. Außerhalb dieser Zone wird das schwieriger. An dieser Stelle mal ein Versuch von mir, das zeichnerisch darzustellen (ist eigentlich nicht so mein Ding!“):
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Ich habe versucht, verständlich zu machen: Innerhalb der „Wohlfühlzone“ – in der ich in der Lage bin mich zu regulieren – gibt es auch ein auf und ab. Ich bin ja nicht den ganzen Tag im gleichen Zustand.
Die Übererregung (hier geht es um das Nervensystem) kann sich äußern in: Ängste, Panikattacken, Schlafstörungen, keine Konzentration mehr möglich, extreme Wut, Herzrasen, emotionale Überwältigung und noch viel mehr.
Die Untererregung kann sich äußern: chronische Müdigkeit, innere Leere, tiefe Abgeschlagenheit, Gefühlstaubheit und noch viel mehr.
Auf Dinge wie: Depression, Flashbacks etc. gehe ich hier nicht ein. Die könnte ich hier einsortieren.
Mir geht es eher darum zu zeigen, manchmal passiert es eben, dass jemand auch außerhalb seines Toleranzfensters fällt. Besonders bei anhaltendem Stress.
Wenn ich also heute über SOS Strategien schreibe, dann kann ich das so gut erklären:
Ich habe welche dafür, wenn ich noch innerhalb des Toleranzfensters bin, allerdings hier eher am oberen oder unteren Rand schlittere (in der Zone, wo ich mich regulieren kann) und es gibt Techniken, wenn ich in Ausnahmesituationen gerate.
Abgesehen von allen Techniken, die ich heute aufführe, die eben für meine Notfälle gut geeignet sind: Training ist wichtig!
Jeden Tag Training und das bedeutet auch, ich kenne mein Toleranzfenster. Ich kann meistens in mich spüren und merke: Hoppla, hier ist es wichtig, etwas zu tun! Achtsamkeit und die tägliche Meditation helfen mir dabei. Tägliches dran arbeiten, gehört für mich dazu. Ich lebe das. Und ja, es gibt es auch Situationen, wo ich merke, ich komme außerhalb meiner Wohlfühlzone und es gibt Situationen (gerade mit der PTBS), da rausche ich noch unbemerkt in die Übererregung oder in die Untererregung.
Und wenn mir wirklich der Arsch platzt (ja, das gibt es auch!) dann erde ich mich mit bestimmten Techniken.
Vielleicht sind sie auch für den einen oder anderen hilfreich, auch in besonders stressigen Situationen.
Am Anfang gleich „schweres Geschütz“. Wenn ich also merke, mir platzt gleich der Popes, ich bin kurz vorm Explodieren, ich bin sehr ängstlich, gestresst oder total unruhig:
1. Ein scharfes Ingwerbonbon lutschen oder in ein Stück Zitrone beißen!
Das bringt mich schnell wieder ins hier und jetzt. Auch einen Eiswürfel in die Hand nehmen: sehen und spüren, wie er zerfließt, finde ich für mich hilfreich.
2. Füße in den Boden pressen!
Die Verbindung zwischen Boden und meinen Füßen spüren. Das gibt mir Halt auf mehreren Ebenen.
3. Auf den Atem achten!
Seit ich meditiere, ist mein Atem mein Anker geworden. Das kann ich im Stehen, Liegen, Sitzen – überall. Gerade in stressigen Situationen oder wenn ich aufgewühlt bin, nervös bin, vor schwierigen Gesprächen – helfen mir Atemübungen sehr:
Augen schließen (muss nicht sein), tief durch die Nase einatmen und durch den Mund wieder aus. Den Atem spüren und ihm folgen, ihn innerlich beobachten. In emotionalen und stressigen Ausnahmesituationen hilft es mir besonders auf das Ausatmen zu achten. Das Ausatmen bis zum Schluss innerlich beobachten, bis der Körper wieder einatmet. Was ganz wichtig ist: Gedanken und Gefühle werden dabei aufkommen und wieder gehen. Ich habe gelernt, das nicht zu unterdrücken. Wenn ich merke, da kommt ein Gefühl oder ein Gedanke, erkenne ich das, benenne es: Gefühl oder Gedanke und kehre wieder zum Atem zurück. Nicht versuchen krampfhaft den Kopf zu leeren, das funktioniert nicht. Wieder und wieder zum Atem zurückkehren.
Mir helfen mittlerweile 1 bis 3 Minuten und ich bin wieder bei mir und ruhiger.
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4. Mich orientieren!
Das hilft mir besonders, wenn ich ängstlich bin oder unsicher. Dann schaue ich mich um, wo ich gerade bin. Wenn ich in einem Zimmer bin: Welche Gegenstände sehe ich? Ansonsten eben überall: Was kann ich riechen? Was kann ich hören? Fühle ich vielleicht gerade etwas auf meiner Haut, wie den Wind?
5. Mir einen sicheren und schönen Ort vorstellen.
Das habe ich in der Traumatherapie gelernt und habe es einfach für andere Situationen übernommen. Ich visualisiere einen für mich schönen Ort, an dem ich mich wohlfühle. Im Laufe der Jahre habe ich den für mich komplett ausgestattet und mit Dingen und Menschen gefüllt, die ich liebe. Das kann ein Ort sein, an dem ihr schon wart oder ihr lasst eurer Fantasie freien Lauf. Wenn ihr euch einen solchen Ort geschaffen habt, könnt ihr jederzeit dahin zurück. Mir hilft das oft sehr, zur Ruhe zu kommen.
6. Das Alphabet rückwärts aufsagen!
Klingt einfach? Ist es vielleicht in einem ruhigen und stressfreien Moment.
Diese „Übung“ braucht viel Konzentration und Fokus. Die gesamte Aufmerksamkeit wird dahin gelenkt. Hilft mir, wieder im Moment zu sein.
7. In mich reinhören und das auch mehrmals am Tag.
Was fühle ich gerade? Oft genug nämlich sammelt sich unterbewusst schon etwas an und das kommt dann mit einem Knall raus. Hier kann ich mich schon frühzeitig regulieren.
8. Jetzt kommt keine Technik, sondern ein Fakt: Ruhe muss ich mir nicht verdienen!
Mein Körper und mein Nervensystem brauchen Auszeiten und Ruhe. Natürlich lasse ich nicht alles sofort fallen. Wenn ich allerdings merke, die Konzentration lässt nach, ich werde müde oder schlapp: Dann nehme ich mir etwas Zeit für mich! Und damit meine ich nicht unbedingt ein Nickerchen. Da reicht mir auch ein kleiner Spaziergang, ein Kaffee und dabei die Beine baumen lassen…oder oder.
9. Dinge in meinem Umfeld berühren.
Auch das wieder, wenn ich merke, ich möchte mich erden. Das kann alles sein: der Stuhl, ein Apfel, ein Kissen, ein Stift – egal was da gerade verfügbar ist. Wie fühlt sich das an? Hart oder weich, ist es kalt oder warm? Welche Farbe hat es?
10. Bewegung!
Schon alleine aufstehen, aus dem Zimmer gehen kann hilfreich sein. Raus in die Natur, auch wenn es nur 5 Minuten um den Block sind! Rennen, wenn viele starke Gefühle im Körper sind, Hampelmänner machen oder oder. Bewegung hilft bei der Regulation und dem Nervensystem. (Nicht nur dem, dem Körper tut das ja auch gut)
11. Das Zwischenmenschliche möchte ich nicht vergessen.
Jemanden umarmen. Und ja, wenn das nicht geht, umarme ich mich auch mal selbst. Hört sich vielleicht etwas befremdlich an, versucht es gern mal. Alternativ könnt ihr euch eine Hand auf das Herz und die andere auf den Bauch legen.
Jemanden anrufen! Mich mit jemandem verbinden. Wenn mir danach ist.
12. Der letzte Punkt ist einer der wichtigsten für mich: Selbstmitgefühl
Mir selbst Empathie geben, mir mit Selbstmitgefühl begegnen. Und hier hilft mir so manches Mantra. Ob ich das nun laut sage oder in meinem Kopf. Eines davon: „Auch das geht vorüber!“
Damit ich mich selbst nicht vergesse und dass ich wichtig bin, genau für solche Momente des Selbstmitgefühls hat mir meine Trauma Therapeutin etwas geschenkt. Das teile ich jetzt mal, vielleicht ist das auch eine Idee für euch. Eine kleine Fingerpuppe. Wie ich sie genannt habe, verrate ich nicht. Sie ist immer in meiner Tasche und in meiner Nähe.
Am Ende noch mal die Erinnerung: Mich in Achtsamkeit üben, und das täglich hilft mir natürlich, mich innerhalb meiner „Wohlfühlzone“ zu bewegen und auch mit Stress und starken Gefühlen umzugehen. SOS Übungen sind vorrangig für Notfälle in dieser Zone gedacht. Wichtig ist es, eine starke Grundlage zu schaffen.
Vielleicht hilft es dem einen oder anderen Menschen. Für Fragen bin ich ansprechbar und ich würde mich freuen, wenn ihr in den Kommentaren schreibt, was euch hilft.
mindfulsun
*von Dr. Dan Siegel entwickelt