„Ihr Sohn hatte eine super Woche. Er hat sich eine besonders große Belohnung verdient!“


Mit dem Rotstift geschrieben und fett unterstrichen leuchteten mir diese Worte aus Juniors Mitteilungsheft entgegen. Eine besonders große Belohnung? Die Klassenleiterin weiß doch ganz genau, was Sohnemann darunter versteht! Worte wie frech, dreist, übergriffig und kompetenzüberschreitend schwirrten mir durch den Kopf. Aber wem sollte ich die jetzt vor den Latz knallen?

Klar, Junior ist nicht ganz einfach zu händeln, das ist nichts Neues. Da, wo meine Mädchen allesamt Selbstläufer sind, braucht er Klarheit, Struktur und Führung. Sonst nichts. Lässt man das nur kurz schleifen – und das kann im Schulalltag durchaus mal passieren – oder ihm geht nur eine Winzigkeit gegen den Strich, dann bringt ihn das ganz schnell mal aus der Spur.

Frustrationstoleranz ist eine ganz große Baustelle, an der wir unermüdlich arbeiten.

Nun hat sich die Klassenleiterin ganz neu überlegt, dass nach jeder Unterrichtsstunde das Verhalten und die Konzentration meines Sohnes bewertet und für ihn „sichtbar“ gemacht werden sollen. Ist ja nicht so, dass er nun schon das fünfte Jahr zur Schule geht und seine Baustellen von Anfang an bekannt waren. Damit hätte man also schon sehr viel früher anfangen können.

Das Bewertungssystem funktioniert so ähnlich wie eine Belohnungstafel mit Smileys, nur ohne Smileys.

Auf einem A4-Blatt ist ein Stundenplan aufgedruckt. Dort stehen jedoch nicht die Unterrichtsfächer drauf, sondern es gibt für jede einzelne Unterrichtsstunde Kästchen zum Ankreuzen, was gut geklappt hat und was nicht. Gut gelaufene Stunden malt Junior anschließend in grün aus, schlecht gelaufene in Rot. Grün gibt es nur, wenn alles gut geklappt hat.

Eine komplett grüne Woche ist auf jeden Fall eine große Leistung. Das weiß jeder, der meinen Sohn kennt. Und nun prangten da diese Worte in seinem Mitteilungsheft: „Er hat sich eine besonders große Belohnung verdient!“

So etwas empfinde ich als Eingriff in das familieneigene Wertesystem. Und das nicht zum ersten Mal.

Natürlich erklärte ich Junior wieder einmal, was ich von solchen Aktionen halte. Aber der Zug war bereits abgefahren. „Die Lehrerin hat gesagt …“, wer kennt das nicht? Seit Stunden blinkten die Worte besonders große Belohnung leuchtend rot und fett wie eine Leuchtreklame in seinem Kopf. Aufgeregt wedelte er mir mit dem Mitteilungsheft vor der Nase herum, kaum dass er über die Schwelle der Haustür trat. So schnell und zielstrebig hatte er das Heft in seiner bisherigen Schulkarriere noch nie aus dem Ranzen.

Und er wusste auch schon ganz genau, wie seine besonders große Belohnung aussehen sollte.

Es blieb nicht allein bei der Diskussion, ob so eine besonders große Belohnung, wie Junior sie sich vorstellte, denn notwendig sei. Unvermeidlich kam auch die Diskussion mit den Mädels, seinen drei großen Schwestern, warum er überhaupt für etwas belohnt werden sollte, was ganz verständlich sein sollte. Nur, weil sie sich immer benehmen, gehen sie leer aus? Das ist nicht fair! Da haben sie recht.

Bedeutet das nun im Umkehrschluss, dass die Mädels sich fortan auch pausenlos danebenbenehmen müssen? Werden sie dann auch fett belohnt, wenn sie sich dann doch mal wieder Mühe geben? Schlussendlich bin ich an diesem Punkt noch nicht schlauer.

Fest steht: Ich bin überhaupt kein Freund materieller Belohnungssysteme.

Normalerweise praktiziere ich so etwas auch nicht. Dass man stolz auf seine Kinder ist, kann man auch anders zeigen. Im Kleinen, mit Gesten und Worten, Tag für Tag. Passiert dann mal sowas wie das, was eindeutig die Klassenleiterin angezettelt hat, dann ist das für den Junior zwar ein Fest, aber seinen Schwestern und auch mir stößt das verständlicherweise sauer auf.

Am Ende habe ich mich trotzdem auf die besonders große Belohnung eingelassen.

Ich habe sie an die Bedingung geknüpft, dass ich hier zu Hause auch solche komplett grünen Tage haben möchte. Und nun steht schon seit ein paar Tagen recht günstig geschossen ein hochwertiger New Holland Traktor mit Silagewagen im Maßstab 1:50 im Schrank. Nur losgeworden bin ich ihn bis jetzt noch nicht.

Ich warte noch auf einen dieser grünen Tage. Und bis dahin mache ich es wie immer: Ich würdige all die kleinen Freuden, die meine Kinder mir Tag für Tag bescheren, ganz einfach mit Wertschätzung und Stolz.

Und ihr? Wie würdet ihr eigentlich ihr diesem Fall reagieren?

Liebe Grüße

Eure Doro

Doro
About me

Vom Stadtkind zur Landmama. Heimwerkerin und Basteltante, Bücherratte und Bilderdenkerin. Gnadenloser Optimist. Nachteule und Langschläfer. Immer neue Flausen im Kopf. Single-Mom in einem 4-Kinder-Haus und Vollzeit im Beruf. Büroflüchtling, wann immer ich kann. Verliebt in den Himmel und die Magie von Büchern ... Und irgendwann schreibe ich selbst ein Buch.

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3 Kommentare

Desiree
Antworten 9. Dezember 2018

Wahnsinn....dieser Text ist wie aus meinem Leben geschrieben. Wir haben genau die selbe Situation. Unser Sohn 8 Jahre (2.Klasse) braucht klare Linien, Struktur und immer wieder Zuspruch. Es gibt Tage wo er den Unterricht völlig verweigert. Man kommt nicht mehr an ihn ran und ich muss ihn holen. Manche Schultage können aber auch gut laufen aber es ist jeder Tag spannend. Wir haben eine Psychotherapeutin und tolle Lehrer die ihn und uns unterstützen. Aber es ist schwer im Alltag dieser klaren Linie treu zu bleiben. Die Zwillinge fragen dann oft wieso bekommen wir nichts, wieso braucht er diese Belohnungstafel....nicht immer einfach. Aber ich bin froh um jede Hilfe. ..um ein gutes Freunde Netzwerk die uns unterstützen.

SaLü
Antworten 10. Dezember 2018

Meiner Meinung nach ist das ein bemerkenswerter Schritt der Lehrerin, sich die Mühe zu machen, das Verhalten Deines Sohns nach jeder Stunde zu bewerten. Er bekommt damit ja auch gegenüber den anderen Mitschülern eine erhöhte Aufmerksamkeit. Sicherlich war sie einfach froh über sein gutes Verhalten und stolz auf ihn nach der gelungenen Woche, so dass die das mitteilen wollte.
Aber mit keinem Wort ist erwähnt, dass es sich bei der Belohnung um etwas Materielles handeln soll! Eine besondere Belohnung kann auch ein Filmabend mit Popcorn sein, bei dem die Schwestern genau so teilnehmen dürfen, oder die Leibspeise...
Wenn das von deinem Sohn aber aufgefasst wird, hilft ein kurzes klärendes Gespräch an die Lehrerin mit Sicherheit.

Katharina
Antworten 10. Dezember 2018

Sehr spannend. ich glaube nicht, dass ich das System der grünen Tage auf zu Hause übertragen würde. Ich finde Belohnungssysteme für gutes Benehmen in der Familie äußerst fragwürdig. Das Interesse der Lehrerin ist es natürlich, dass alles reibungslos läuft. Da ist es irgendwie verständlich. Aber dann soll sie sich bitte auch selbst um die Belohnung kümmern. Das nach Hause zu bringen, finde ich extrem übergriffig. Genau wie Du schreibst: wer immer angepasst ist, hat dann im Endeffekt den Nachteil. Ich würde versuchen die Lehrerin dafür zu sensibilisieren. Sie hat es ja nur gut gemeint und sich sicher über die Konsequenzen fürs Familienleben keine Gedanken gemacht.

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