„Meine Kinder bringen mich zum Ausrasten!“ – na und dann? Emotionen regulieren – für alle!


Als wir gestern Abend das Buch von Nicola Schmidt präsentiert haben, „Erziehen ohne Schimpfen“ gab es in einigen der Kanäle die Diskussion, ob es nicht unauthentisch sei, wenn man gar nicht mehr mit Schimpfen und harten Ansagen in der Kindererziehung agiert. Ist das der Freibrief fürs Ausrasten als Mutter oder Vater? Und was stellt das mit dem Kind an?

Unsere Kolumnistin mindfulsun hat einige Erfahrungen für euch. Es geht um impulsive Reaktionen – als Elternteil.

Sofort reagieren und damit eine Situation verschlechtern, kennen vielleicht einige von euch auch.

Da kommen starke Emotionen auf und schon werden wir laut, reagieren über, sprechen Worte aus, die wir vielleicht später bereuen. Wenn das mit den Kindern passiert, bereue ich es umso mehr. Mit der Achtsamkeit kam die Selbstreflexion und mit der Meditation habe ich gelernt, meine Emotionen zu regulieren. Und ich habe mit Erstaunen festgestellt, wie viel ruhiger ich nun reagieren kann. Wie oft ich eine Pause zwischen Reiz und Reaktion setzen kann und wie gut sich das auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt, natürlich auch mit meinen Kindern. Und noch ein sehr großer, positiver Effekt:

Meine Jungs spiegeln das. Sie lernen mit mir und von mir. Und das bringt Positives in ihre Beziehungen zu anderen Menschen.

Und wenn ich ehrlich zu mir bin, ist das ein wichtiger Grundstein für mich, in der Beziehung zu meinen Jungs. Und es ist für mich ein Grundbaustein für die Resilienz und die emotionale Intelligenz von Kindern.

„Ich bin, wie ich bin.“
„Ich kann nicht aus meiner Haut.“

Diese Aussagen kennen sicher viele von euch und ich habe früher auch so gedacht. Und nicht nur gedacht, ich habe danach gehandelt. Ich habe mich oft von meinen Impulsen leiten lassen. Diese Zeiten sind vorbei. Für mich sind diese Aussagen heute eine Ausrede. Es war einfach und hat doch so oft Schaden angerichtet. Ich brauchte mich eigentlich auch nicht zu wundern, dass meine Kinder manchmal ganz genauso reagierten!

Heute weiß ich: Ich kann vielleicht meine Emotionen nicht ändern und auch nicht meine Gedanken, ich handele nicht immer mehr danach.

Und mit „nicht immer“ meine ich: Ich bin kein Buddha, der dauergrinsend und vollkommen ausgeglichen fünf Zentimeter über dem Boden schwebt.

Es ist oft schwer und manchmal gelingt es mir nicht, ich bin allerdings achtsam dafür geworden.

Meine Emotionen regulieren bedeutet auch, ich mache nicht mehr andere Menschen dafür verantwortlich.

Ich kann mich noch erinnern, als meine Kinder jünger waren und nicht zur vereinbarten Zeit zu Hause, habe ich ungeduldig gewartet. Wenigstens anrufen könnten sie doch oder eine SMS schicken! Wozu haben sie denn ein Handy? Als sie dann zu spät durch die Tür kamen, konnte ich kaum an mich halten und habe sie überschüttet: „Wo warst du? Warum kommst du so spät?“. Und natürlich: „Ich habe mir (wegen dir) Sorgen gemacht!“. Das fühlte sich weder für die Jungs, noch für mich sonderlich gut an. Später dann, als ich mich beruhigt hatte, kamen wir in ein Gespräch.

Anderes Beispiel: Als ich in der Grundschule war, sind wir mit der Schulklasse zum Zahnarzt gegangen. Ich habe die Schmerzenslaute eines Jungen aus meiner Klasse im Behandlungszimmer gehört und nicht lange nachgedacht. Vor lauter Angst habe ich die Beine in die Hand genommen und bin gerannt, aus der Praxis und hilflos durch die halbe Stadt. Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, bin ich nach Hause gegangen. Meine Eltern waren noch im Büro und ich habe bei einer Nachbarin geklingelt, die meine Eltern verständigt hat.
Als meine Mutter dann endlich in der Tür stand, wollte ich nichts mehr als eine Umarmung. Stattdessen gab es eine schallende Ohrfeige für mich. Meine Mutter hatte ja wegen mir Angst und ich habe sie wütend gemacht – sagte sie. Statt auf dem Nachhauseweg ihre Emotionen zu regulieren, hat sie sie auf meinem Gesicht abgeladen.

Was ich damit sagen möchte: Gerade Ängste um unsere Kinder können starke Emotionen auslösen.

Und auch Ärger, Wut – wenn etwas schief läuft – kommen auf. Diese Gefühle ganz unreguliert an die Kinder zu geben, kann viel Schaden anrichten. Vor allem in der Vertrauensbeziehung zwischen Eltern und Kind. Ich habe mir damals gedacht: Hättest du mal lieber gelogen und wärst nicht aus Angst nach Hause gerannt. Und ich habe mich geschämt!

Meine eigenen Ängste, mein Ärger – das liegt bei mir. Dafür bin ich verantwortlich!

„You can choose how to respond, and choose wisely,
because the next step you take will teach your child
how to handle anger
and could either strengthen or damage your relationship.”
― Rebecca Eanes,

Wie also reguliere ich meine Emotionen?

Training – Tägliche Meditation! Denn erst im „Ernstfall“ ein paar Atemübungen machen, hilft mir nicht. Je öfter ich meditiere, desto tiefer sitzt das und ich kann besser mit Emotionen umgehen. Und ich habe auch gelernt, hinter meine Emotionen zu schauen. Was steckt hinter meinem Ärger, hinter meinen Ängsten und hinter meiner Wut? Das sind oft Dinge, die ich auflösen muss, ganz für mich alleine. Damit haben meine Kinder sehr selten etwas zu tun.

Was meine Jungs dadurch gelernt haben? Auch in die Selbstreflexion zu gehen und nicht sofort zu reagieren.

Sie können Emotionen zulassen und sich damit auseinandersetzen. Sie haben keine Angst vor großen Emotionen und sie wissen für sich: Sie müssen nicht danach handeln. Unser Umgang miteinander hat sich verändert, da ist jede Menge Vertrauen und Respekt gewachsen. Wenn ich mich mit meinen Emotionen auseinandersetze, hilft uns das allen.

Auf meine Stimmung achten – was steckt dahinter, bewusste Pausen zwischen Reiz und Reaktion machen, haben mir auch zu mehr Geduld verholfen. Dabei habe ich mich immer für ungeduldig gehalten!

Ruhig und geduldig zu reagieren, ist oft noch hartes Training für mich!

Und es lohnt sich.

mindfulsun

P.S. von Béa

Mir ist etwas ganz wichtig bei dem Beitrag: Solltet ihr in der Tat sehr emotional reagieren und das ungewollt, kann es sein, dass ihr euch so Schuld wieder fühlt, dass ihr euch damit zusätzlich Druck und Stress macht – und dann genau aus diesem Grund das nächste Mal noch impulsiver reagiert. Der Ausstieg aus dem Teufelskreis kann hart sein – gerade bei Eltern, die per se zu wenig Schlaf und Ruhe haben. Seid auch gnädig mit euch selbst, ja?

Meine Frage an euch: Könnt ihr euch an eine Situation erinnert, in denen es euch schwer gefallen ist, eure Emotionen zu kontrollieren – und ihr es dennoch geschafft habt? Erzählt bitte davon…

Béa Beste
About me

Schulgründerin, Mutter, ewiges Kind. Glaubt, dass Kreativität die wichtigsten Fähigkeit des 21. Jahrhunderts ist und setzt sich für mehr Heiterkeit beim Lernen, Leben und Erziehen ein. Liebt Kochen, reisen und DIY und ist immer stets dabei, irgendeine verrückte Idee auszuprobieren, meist mit Kindern zusammen.

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2 Kommentare

Janine
Antworten 4. April 2020

Wie genau kann man beginnen diese Spirale zu durchbrechen? Gibt es einen Einstieg? Ein gutes Buch zum Beispiel?

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