Von den Eltern entfremdet – Teil 2 – und vielleicht wieder versöhnt?
Es war Nina alias Frau Papa, die mit ihrem Tweet uns den Anlass gab, uns dem Thema „von den Eltern entfremdet“ zu widmen. Im ersten Teil haben wir bereits einige Geschichten aus der Community geteilt, und andere sind immer noch in der Warteschleife. Es wird einen dritten Teil geben!
Heute schreibt allerdings Nina selbst ihre Geschichte hier, dazwischen sind Auszüge aus einem Brief an ihre Eltern vom „coming out“ – und wie es nun doch Hoffnung zu einer Annäherung doch gibt:
Damals war ich ihr „lieber Sohn“
Das Verhältnis zu meinen Eltern war lange Zeit ganz okay.Damals war ich ihr „lieber Sohn“. Seit ich meine Frau kennenlernte und mit ihr 800 km von meiner Geburtsfamilie entfernt, meine eigene Familie gründete, unterhielten wir uns hauptsächlich am Telefon oder über Skype. Alle 1-2 Wochen klingelte meine Mutter durch und erzählte mir allerlei Klatsch und Tratsch, ganz so, als säße ich an ihrem Kaffeetisch. Mein Vater schaute manchmal seitlich ins Bild, winkte, erkundigte sich nach den Kindern. Die Welt war in Ordnung.
Oh ja, nach außen schien alles perfekt.
Mama war glücklich, dass ihr Sohn eine so tolle Frau und Familie hatte – ihr Sohn hingegen lebte in dieser Familie schon lange geoutet und als Frau. Ich hatte das Coming Out bei meinen Eltern so lange wie möglich hinaus gezögert. Vor der Rente hatte mein Vater für die Stadt gearbeitet und als ich meine Namensänderung beantragte, war mir klar: Auf die eine andere Art würden meine Eltern von meinem Schritt erfahren. Jedes Videotelefonat war für mich schon lange eine Belastung geworden. Oft zog ich mich dafür um, schminkte mich ab, schlüpfte in die Rolle „braver Sohn“ und war eine Stunde später ausgelaugt und hasste mich selbst.
Vor etwa zwei Jahren kam dann der Tag, an dem ich meinen Eltern die Wahrheit anvertraute.
An diesem Tag zerbrach eine Familie. Meine Eltern konnten mit meiner Transsexualität nicht umgehen. Ich solle meine Entscheidung doch nochmal überdenken und doch mindestens noch zehn, besser 20 Jahre warten… Irgendwann konnte ich nicht mehr antworten und plötzlich war da Stille. Es zerbrach nicht im Streit, es zerbrach schweigend.
„Hallo Muttl, Hallo Vatl,
manchmal fallen einem Kleinigkeiten richtig schwer. Ich möchte Euch etwas sagen, was ich einfach mal loswerden muss. Was ich zu sagen habe ist absolut nichts Schlimmes, also keine Panik.
Wie ihr wisst, habe ich immer wieder mit Traurigkeit und Depressionen zu kämpfen gehabt. Die eigentliche Ursache davon wusste ich eigentlich schon immer, aber ich habe mich nicht getraut, es zu sagen. Seit einigen Jahren habe ich diese Depressionen nicht mehr. Ich habe mit Jane eine Frau gefunden, eine Familie, bei der ich mich traute ganz offen zu sein. Vor etwas mehr als vier Jahren habe ich Jane gestanden, dass ich mich in meinem Körper nicht wohl fühle. Ich bin eine Frau gefangen im Körper eines Mannes….“
Plötzlich rief Oma nicht mehr an.
Für meine Kinder wurde die Veränderung der Kommunikation deutlich spürbar: Plötzlich rief Oma nicht mehr an. Während der Videotelefonate waren immer wieder die Kinder ins Bild gerannt, hielten Oma Bilder und Schätze vor die Kamera. Plötzlich war da nichts mehr. Es fühlte sich an, als hätte ich meine Familie zerbrochen und verloren und ja, ich trauerte. Wie gerne hätte ich die Illusion weiter aufrecht erhalten, denn augenblicklich verloren meine Kinder ihre Großeltern. Durch die Entfernung war die Bindung gerade für den Kleinsten nicht besonders tief, aber mein Mittlerer stellte mir manchmal Fragen, die ich nicht beantworten konnte und es bis heute nicht kann. Eine Frage hallt immer wieder durch meinen Kopf: „Hat deine Mama dich nicht mehr lieb?“
„Und ja, auch die Kinder wissen <es>, ich lebe inzwischen als Frau, ein Schicksal, das ich mir nicht ausgesucht habe. Inzwischen ist es einfach so, dass ich nicht mehr schaffe, mich als Mann zu verkleiden, denn das ist der Grund für die tiefsten meiner Depressionen gewesen.
Tja, ich hoffe, dass ich euch damit nicht zu sehr schocke, aber da ich dieses Jahr noch mit der Hormonbehandlung beginne, wird es schwerer es zu verstecken.
Nein, Jane wird mich nicht verlassen und ich sie nicht.
Ja, die Kinder wissen alles und akzeptieren mich genau so.
Und ich habe einfach keine Lust, meine Eltern anzulügen, denn ihr habt mir beigebracht mit Ehrlichkeit und Offenheit auf die Menschen zuzugehen. Das, was du heute sagtest: „Man kann sich nicht nach dem richten, ob und was die Leute reden.“ hat mich einfach davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, mich zu outen.“
Ein wenig Ruhe kehrte ein
Nach ein paar Monaten meldete sich meine Mutter über WhatsApp. Es schien so, als hätte es das Coming Out nie gegeben. Die Unterhaltung blieb oberflächlich und kurz. Als ich im nächsten Gespräch das Thema ansprechen wollte, brach meine Mutter das Gespräch ab. Aus den wöchentlichen Gesprächen wurden unregelmäßige Kurznotizen, die Abstände wurden immer größer und die Gespräche immer kürzer. Für meine Kinder wurde aus der Oma, die in die Kamera lacht, ein Name auf einem Paket mit Süßigkeiten und ein wenig Geld zum Geburtstag.
Der verschwundene Vater
Mein Vater schweigt. Mehr noch: Er geht mir komplett aus dem Weg. Telefonieren war nie sein Ding, aber er brach die Kommunikation zu mir komplett ab. Seine Ablehnung geht so weit, dass er keine Fotos ansieht, auf denen ich zu sehen bin. Er, der Mensch, der mir Toleranz und Nächstenliebe vorlebte, lehnt mich ab, weil ich nicht Mann sein kann. Manchmal frage ich mich, wie er es schafft, sein Kind, das er angeblich liebte, so abzulehnen.
Irgendwann im Sommer hatte ich ein unglaublich süßes Foto meiner Kinder gemacht und das schickte ich meiner Mutter – die mich noch immer bei meinem alten männlichen Namen anspricht. Ich beschloss, dass meine Kinder wenigstens ihre Oma haben sollten und ich hatte einfach keine Lust auf die Oberflächlichkeit, die sonst unsere wenigen Gespräche dominierte. Und plötzlich, nach über anderthalb Jahren rief sie abends an. Ihre beste Freundin hatte am Vortag einen Schlaganfall gehabt und sie wirkte sehr froh, dass sie darüber reden konnte.
„Ja, ich bin transsexuell. Ich wollte immer ein Mädchen sein, aber ich habe mich nicht getraut. Ich wünschte mir oft, es wäre nicht so, aber meine Familie gibt mir immer wieder Halt und Hoffnung…“
Langsam, sehr langsam finde ich nun wieder Kontakt zu meiner Mutter. Das meiste passiert zwar noch immer über WhatsApp, aber wir sprechen wieder miteinander. Es sind kleine Schritte, die mir Hoffnung geben. Meine Schwester verriet mir sogar, dass meine Mutter sich zuhause für mich stark macht. Es wäre so schön, wenn meine Kinder in ein paar Monaten wieder in die Kamera winken und ihrer Oma in die Augen schauen könnten…
Und, könnt ihr nachvollziehen, wie sehr sich Nina wünscht, von ihren eigenen Eltern akzeptiert zu werden als das, was sie ist? Eine tolle Frau und Mutter?
Liebe Grüße
von Nina und Béa
Übrigens, Nina bloggt ja als Frau Papa.
- 28. Jan 2017
- 4 Kommentare
- 10
- Coming Out, Familie, Liebe, Mutter, Transfrau, Väter, Vetragen, Von Eltern entfremdet
jennifer-heart
29. Januar 2017Ich kann sehr gut nachvollziehen, warum Nina sich wünscht von ihren Eltern, so wie sie ist, akzeptiert zu werden. Ich wünsche ihr, dass ihre Eltern dazu bereit sein werden!
Tante Emma
30. Januar 2017Liebe Nina,
mein Herz blutet beim Lesen dieser Zeilen. Vieles habe ich ja über Twitter mitbekommen, aber es so komprimiert in einem Artikel zu lesen, das ist schmerzhaft.
Ich fühle an einigen Stellen aus anderen Gründen mit.
Ich schicke Dir ganz liebe Gedanken und hoffe, dass auch Deine Eltern sehen, was für ein toller Mensch Du bist. Und wie Du Deinen Kampf kämpfst. Mach bitte weiter so. <3
Alles Liebe
Tante Emma